nd-aktuell.de / 18.05.2009 / Kultur / Seite 11

Blutbad in Gaza

»Samson et Dalila« in Antwerpen/Gent

Roberto Becker
Orgiastischer Tanz – mit Waffen
Orgiastischer Tanz – mit Waffen

Die Oper erhitzt vor allem dann die Gemüter, wenn ein Teil des Publikums vermeintliche ästhetische Besitzstände in Gefahr sieht. Das macht manchmal Spaß, manchmal ist es auch ärgerlich. Im Grunde aber ist es Teil eines Spiels, bei dem die Grenzüberschreitung ebenso dazu gehört wie die Aufregung. Am Ende wird beides zum Lebenselixier der angeblich so bedrohten Gattung.

Manchmal aber wird es wirklich ernst, etwa im Umkreis der zahlreich veroperten biblischen Stoffe. Da ist bei der Verlängerung der kolportierten Feindbilder, der Hass- und Vergeltungsmechanismen in die Gegenwart kluger analytischer oder auch visionärer Interpretationsrat gefragt. Es wird richtig brisant, wenn bekennende Juden die Politik des Staates Israel kritisieren oder als engagierte Künstler über die Gräben hinweg Zeichen setzen. So wie es beispielhaft Daniel Barenboim immer wieder versucht. Ob nun mit Statements, mit seinem Bruch des Wagner-Tabus in Israel oder vor allem mit seinem israelisch-palästinensischen Jugendorchester. Das braucht Künstlermut vor Fanatiker-Thronen.

Wie heikel die unbefangen kritische Reflexion selbst israelischer Künstler mit ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit in Deutschland ist, zeigte die jüngst aufgeflackerte Debatte um das Theaterprojekt »The Third Generation« von Yael Ronen, das sich auf ungewöhnlich vitale Art mit dem geistigen Erbe des Holocaust auseinandersetzt. Ging das in Halle beim Festival »Theater der Welt« noch als unwidersprochener Erfolg durch, regte sich bei der Wiederaufnahme an der Berliner Schaubühne schon ein geradezu ritualisiertes Kontra der Überängstlichkeit beim Umgang mit dem heiklen Thema.

Im flämischen Antwerpen, einer Stadt mit einer Präsenz demonstrierenden jüdischen Gemeinde, funktioniert das ähnlich. Als Aviel Cahn, der in der Schweiz geborene neue Intendant der Flämischen Zweistädte-Oper Antwerpen und Gent jetzt ausgerechnet Camille Saint-Saëns' »Samson et Dalila« in die Hände eines erfahrenen israelischen und eines jungen palästinensischen Theatermachers legte, bedurfte es schon einen gewissen Mutes, der Schirmherrschaft der EU-Außenkommissarin und eines flankierenden Rahmenprogramms. Die Regisseure Omri Nitzan und Amir Nizar Zuabi nehmen die biblische Anekdote denn auch als ein gültiges Menetekel für die tragisch verfahrene Situation in ihrer Heimat.

Samson ist in der 1877 von Franz Liszt beförderten Uraufführung von »Samson und Dalila« in deutscher Sprache (erst 1892 folgte die jetzt gebräuchliche französische Version in Paris) der furchterregende Anführer der Hebräer, die sich gegen die Knechtschaft der Philister auflehnen. Die setzten erfolgreich die schöne Dalila ein, um Samson zu verführen und ihm das Geheimnis seiner Stärke zu entlocken. Er gibt es preis, verliert seine magische Haarpracht, wird außerdem geblendet und gefangen und bringt in dem Moment, als er in der tiefsten Erniedrigung vor dem fremden Gott knien soll, dessen Tempel zum Einsturz. In Antwerpen wird er, der für sein Volk die Hoffnung auf Freiheit verkörpert, zum Archetyp des Selbstmordattentäters, der sich am Ende in die Luft sprengt und unzählige Philister mit sich in den Tod reißt.

Da die Inszenierung von der biografischen Erfahrung ihrer Regisseure profitiert und sie ihre Zusammenarbeit ganz bewusst als Form des Protestes sehen, darf man die Stilisierung der gegeneinander stehenden Volksgruppen, ihrer Kämpfer und religiösen Anführer in ihrer Austauschbarkeit als die Diagnose eines Mechanismus von Gewalt und Gegengewalt sehen, der nur eskalieren kann. Es ist eine perspektivlose Politik.

So finden sich auf der Bühne die unterdrückten Hebräer heute in der Rolle der Palästinenser des Gaza-Streifens wider. In ihrem Aufbegehren und in der sinnlosen Gewaltperspektive, in deren Namen Samson am Ende alles in den Tod sprengt. In ihrer Bühnenästhetik vermeiden die beiden Regisseure dabei Zuspitzungen. Sie setzen mehr auf die Assoziationskraft maßvoll eingesetzter Schlüsselbilder. Am deutlichsten werden sie, wenn im musikalisch eskalierenden Bacchanal junge Militärs, die dreckverschmiert in die Siegesfeier einer mondänen Oberschicht geraten, in einem orgiastischen Tanz ihr erotisches Verhältnis zu ihren Waffen demonstrieren. Oder wenn es am Ende eine ebenso erotisch angehauchte Waffenmodenschau als Begleitprogramm zur Erniedrigung des gefangen genommen Samson gibt.

Diese Bilder spielen, ohne direktes Zitat, mit den Folterfotos der US-Amerikaner aus dem Irak. In einer klug dosierten ästhetischen Balance zwischen dem direkten Kommentar zur israelisch-palästinensischen Politiksackgasse und einem allgemeinen Gleichnis der Ausweglosigkeit von Gewalt und Gegengewalt vertraut die Antwerpener Inszenierung am Ende unter der Leitung des tschechischen Dirigenten Tomáš Netopil auch auf die Überzeugungskraft von Saint-Saëns' erstaunlich vitaler Musik. Ein stimmlich kraftvoller Torsten Kerl als Samson und die dunkel verführerische Marianna Tarasova als Dalila sind dabei neben dem Chor und dem übrigen Ensemble die Hauptverbündeten in diesem hochachtbaren Versuch, Oper auch politisch zu verstehen.

orstellungen in Gent am 19., 22., 24. und 26.5.