»Die Überkonsumtion muss aufhören«

Die indische Aktivistin Sudha Reddy über geeignete Strategien beim Kampf gegen Klimawandel

  • Lesedauer: 4 Min.
Sudha Reddy ist Mitbegründerin der indischen Entwicklungsorganisation Sahajeevan, die sich für soziale und ökologische Gerechtigkeit, für marginalisierte Gruppen sowie für die Gleichheit zwischen den Geschlechtern einsetzt. Aktuell engagiert sich Reddy in Südindien für die globale Allianz für eine »Charter of Human Responsibilities« (Charta der menschlichen Verantwortungen).
Klimapolitik: »Die Überkonsumtion muss aufhören«

ND: Sie sind zwei Wochen durch Deutschland gereist, haben Vorträge gehalten und diskutiert. Wie lautet Ihre Botschaft?
Sudha Reddy: Es geht nicht bloß um eine Botschaft, sondern auch um ein gegenseitiges Lernen. Ich teile meine Erfahrungen. Durch den Klimawandel kommt es in Indien immer häufiger zu Dürren, der Meeresspiegel steigt an, die Überschwemmungen nehmen zu. Betroffen sind vor allem die Leute auf dem Land, insbesondere Frauen und Kinder. Im vergangenen Jahr beispielsweise haben etwa eine Millionen Menschen ihr Zuhause verloren, als der Fluss Kosi übergetreten ist. Das lag vor allem an dem schmelzenden Eis im Himalaya-Gebirge.

Wissen das die Menschen?
Viele wissen leider nichts vom Klimawandel. In Indien wird das Thema vor allem in der Mittel- und Oberklasse diskutiert. Aber beinahe 400 Millionen Menschen leben in Armut, sie müssen mit weniger als einem US-Dollar pro Tag auskommen. In der Landwirtschaft merken sie, dass sich mit dem Klima etwas ändert. Aber sie wissen nicht warum.

Warum ist es so wichtig, dass die Menschen den Klimawandel verstehen? Reicht es nicht, wenn sie sich an die neuen klimatischen Bedingungen anpassen können?
Wichtig ist vor allem zu wissen, dass der Klimawandel menschengemacht ist. Dass die Änderungen von einer Gruppe von Menschen verursacht sind. Dann kann man seine Stimme erheben. Es gibt in Indien bereits starke Bewegungen gegen den Bergbau, für den Wald abgeholzt wird. Wenn die Menschen begreifen, dass Abholzung zum Klimawandel beiträgt, werden diese Bewegungen gestärkt. Dann protestieren nicht nur die Leute, die von den negativen Auswirkungen des Bergbaus direkt betroffen sind.

Unter Klima-Aktivisten in Deutschland wird derzeit darüber diskutiert, ob man sich auf der Kopenhagener UN-Klimakonferenz im Dezember für ein Kyoto-Nachfolge-Abkommen mit ambitionierten Klimaschutzzielen einsetzen sollte oder ob nicht ein komplett anderer Ansatz nötig ist, der zum Beispiel nicht auf den Emissionshandel setzt.
Die Strategie auf internationaler Ebene muss auf jeden Fall radikal geändert werden. Der Emissionshandel (mit CO2-Verschmutzungsrechten, d. Red.) ist ein kapitalistischer Ansatz, deshalb bin ich gegen ihn. Außer, wenn das Geld aus dem Emissionshandel den Armen zu Gute kommt. Ich bin aber absolut nicht einverstanden, wenn die Industriestaaten mehr Treibhausgase ausstoßen und das damit rechtfertigen, dass sie im Süden Bäume pflanzen. Der Norden muss seine Emissionen reduzieren.

Bislang ist davon nicht viel zu sehen. Wird es mit US-Präsident Barack Obama auch in der Klimapolitik einen »Change« geben?
Was Obama sagt, hört sich danach an, als wolle er etwas ändern. Das ist schön. Aber ich weiß nicht, ob dies wirklich geschieht. Die Welt wird von profitorientierten Unternehmen kontrolliert. Die sind sehr stark in allen Bereichen.

Was müsste denn getan werden, um das Klima zu retten?
Der Lebensstil muss sich ändern und die Überkonsumption muss aufhören. Aber nicht nur im Norden: Auch im Süden gibt es eine Klasse, die überkonsumiert.

Müssten daher auch Schwellenländer wie Indien in einem Kyoto-Nachfolge-Abkommen zu Emissionsminderungen verpflichtet werden?
Ja. Wir müssen auf die Überkonsumptions-Klasse schauen. Die gibt es überall. Dennoch haben die Industriestaaten eine höhere Verantwortung – sie haben viel stärker zum Klimawandel beigetragen als die restlichen Länder.

Und die Industriestaaten sind auch wirtschaftlich eher in der Lage, dem Klimawandel zu entgegnen. Darf man überhaupt Entwicklungs- und Schwellenländern vorschreiben, ihr Wirtschaftswachstum zu beschränken, indem sie gezwungen werden, ihre Treibhausgase zu begrenzen?
Wirtschaftswachstum auf Kosten der Umwelt ist doch kein wirkliches Wachstum. Stattdessen brauchen wir soziale und ökologische Gerechtigkeit. Zum Beispiel bei der Energieerzeugung: Sonne, Wind und kleine Wasserkraftwerke. Die Anlagen sollten aber nicht von Firmen kontrolliert werden, sondern von den Menschen vor Ort.

Aber wie könnte eine nachhaltige Entwicklung Indiens im Verkehrsbereich aussehen? Wenn sich bald alle ein Auto kaufen, wäre das eine Katastrophe für das Klima.
Das Auto ist eines der Hauptprobleme. Die Regierung muss deshalb endlich aufhören, die Autoindustrie zu fördern, indem sie große Straßen baut. Und sie muss die Gesetze zur Emissionsbegrenzung durchsetzen. Demnach müssen Autos zum Beispiel auf ihren Ausstoß hin untersucht werden. Ist der zu hoch, dürfen die Autos nicht fahren. Das Problem: Die Umweltgesetze werden nicht konsequent durchgesetzt.

Aber auch Autos mit niedrigeren Emissionen tragen zum Klimawandel bei.
Ja, aber die Regierung verbietet Autos derzeit nicht. Es müsste mehr Informationen für die Menschen geben, warum man Autofahren vermeiden sollte. In der Mittelschicht muss das Umweltbewusstsein geschärft werden.

Fragen: Felix Werdermann

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