Keine Feier ohne Eier

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Keine Feier ohne Eier

Unter den Wohltaten der abendländischen Zivilisation, mit denen die Macht am Rhein 1990 die Ostler beglückte, gebührt der Kaffeefahrt die pole position. Im Kaufrausch erwarben die Eingeborenen zwischen Fichtelberg und Kap Arkona Kokolores en gros, am liebsten überteuerte Lamadecken. Der Westler lachte sich scheckig über dieses Big Business der Ossidumpfbacken. Richter und Staatsanwälte ließen die Veranstalter gewähren, Parole: Wer nicht kriminell ist, macht sich strafbar.

Seitdem, hatte ich vermutet, sei die gründlich abgezockte Ostkundschaft bedient und danke bestens für den Kaffeefahrt-Tourismus. Welch ein Irrtum. Nach zwanzig Jahren Hakle feucht und Henkell trocken blüht das Geschäft noch immer. Neulich ließ sich Oma Walpurga (75) aus Rostock für 1000 Euro eine »Energiescheibe« andrehen, Materialwert zehn Euro: »Ich soll nachts ein Glas Wasser draufstellen, sagt der Verkäufer, dann fließt Energie durch meinen Körper…« Wetten, dass ganz Deutschland sich über Omas Blödheit amüsiert, die Tricks der Abzocker dagegen unter Ulk verbucht?

Vertrauen, schwärmt die Kanzlerin, sei der Schmierstoff der Demokratie, und zwar europaweit. Es ist ein Brauch von alters her, dass der Europawähler sich der Europawahl verweigert, derzeit jedoch steigt der Beliebtheitsgrad der Brüsseler Zentrale, weil sie die Bürokratie so furchtlos bekämpft. Vor Jahr und Tag hatten EU-Behörden die Verordnung 1677/88EWG erlassen, nach der jede Salatgurke »gut geformt und gerade« sein müsse, »maximale Krümmung 10 Millimeter auf 10 Zentimeter Gurkenlänge«. Über diesen Firlefanz lachten die Völker Europas sich krank, so dass seitdem immer neue Gesundheitsreformen den Kontinent erschüttern.

Neulich setzten die Eurokraten ihre Gurkenverordnung außer Kraft, zogen aber sofort ein neues As aus dem Ärmel – eine nachhaltig »flexibilisierte« Verpackungsverordnung. Flexibilisiert heißt, dass die EU bei Lebensmitteln keine Einheitsgrößen mehr vorschreibt. Der Produzent ist so frei, seine Verpackungsgrößen selber zu bestimmen. Künftig darf am halben Liter Pils durchaus ein Schluck fehlen, und die Tafel Schokolade mit 100 Gramm Normgewicht wiegt vielleicht bloß noch 83 Gramm. Hauptsache, Otto Normalverbraucher verliert den Überblick beim Preisvergleich im Supermarkt.

Diese Euro-Lizenz zu Schummelei und Beschiss gefällt dem Hersteller. Mogelpackungen machen’s möglich, dass er ohne mehr Leistung mehr Gewinn abgreift. Längst ist auch nicht mehr alles Käse, wo Käse drauf steht. Häufig handelt es sich um Käse aus dubiosen Inhaltsstoffen, den Anbieter ihren Kunden als »Analog-Käse« unter die Weste jubeln.

Und analog zum Käse ist nicht alles Demokratie, wo Demokratie drauf steht. Die Pofallisierung der Politik schreitet voran, die einstigen Kaffeefahrt-Manager haben die Macht ergriffen. Otto Normalsteuerzahler aber, unter dem Eishauch der kalten Progression erstarrt, soll mit seinen Ersparnissen für die wertlosen Wertpapiere der Bad Bank aufkommen. Im Gegenzug sacken Commerzbank-Manager trotz Misswirtschaft nach wie vor verdeckte Bonuszahlungen ein. Beim Post-Konzern arbeiten immer weniger Briefträger immer länger für immer weniger Lohn. Und nur Wähler, die den Wahlbetrug schätzen, begeistern sich für die Schnapsidee der schwarzgelben Rechenkünstler von CDU/CSU und FDP, die uns – trotz 320 Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen – immer demagogischer immer gewaltigere Steuersenkungen versprechen.

So was ist nicht ganz ungefährlich. Bei einer Europawahl-Bambule in Rostock traf das Bio-Ei eines ostdeutschen Werfers den FDP-Chef Guido Westerwelle an der Frisur. Der Treffer verletzte ihn zum Glück nur seelisch. Seitdem ist der tapfere Guido endgültig ein Spitzenpolitiker der Helmut-Kohl-Klasse. Seien wir froh, dass der Täter es bei einem einzigen Ei bewenden ließ, obwohl die Stasi ihm seinerzeit den menschenverachtenden Kampfauftrag erteilt hatte: Nimm ein Ei mehr!

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