Schutzschirm auch für Arcandor-Beschäftigte

  • Michael Schlecht
  • Lesedauer: 5 Min.
Schutzschirm auch für Arcandor-Beschäftigte

Wenn 53 000 Arbeitsplätze in Deutschland und 23 000 im Ausland in Gefahr sind, dann muss in jedem Fall der Staat helfen. Wenn Banken mit Hunderten von Milliarden geholfen wird, dann müssen auch notleidende Unternehmen der »Realwirtschaft« aufgefangen werden. Deshalb unterstützt DIE LINKE den Kampf der Kolleginnen und Kollegen von Karstadt, Quelle und weiteren Unternehmensteilen um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Auch die Beschäftigten bei Arcandor sind »systemrelevant«! Eine Insolvenz würde außerdem 20 000 Arbeitsplätze in den Zulieferbetrieben gefährden. Und es kommt hinzu, dass die knapp 100 Karstadt-Kaufhäuser in vielen Orten wichtig für die kommunale Infrastruktur sind. Dies betrifft vor allem kleinere und mittlere Städte.

Zentraler Auslöser für die gegenwärtige existenzbedrohende Situation ist die Bankenkrise. Drei Banken sind die Hauptfinanziers des Unternehmens: Die Bayern LB, die Royal Bank of Scotland und die Commerzbank. Die Bayern LB ist schon immer eine in öffentlicher Trägerschaft befindliche Landesbank. Jedoch hat sie unter der Aufsicht von CSU-Politikern am meisten Geld in den letzten Jahren verzockt – nur eine Kapitalspritze über satte 10 Milliarden Euro und eine Garantie über weitere fünf Milliarden des Freistaats Bayern konnte sie 2008 retten. So bleibt wenig Raum für die faire Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten.

Die Royal Bank of Scotland, die zweitgrößte britische Bank, ist bereits im vergangenen Herbst in einer Notaktion verstaatlicht worden. Die britische Regierung übt Druck auf die Geschäftspolitik aus mit dem Ziel, die britische Wirtschaft und Konsumenten mit Krediten zu versorgen. Für die »Realwirtschaft« in anderen Ländern bleibt da anscheinend wenig Spielraum. So war es die Royal Bank of Scotland, die jetzt bei Arcandor den Daumen senkte. Ohne zusätzliche Bürgschaften durch den Staat wolle man keiner Kreditverlängerung zustimmen.

Die Commerzbank ist Anfang Januar 2009 mit 18 Milliarden aus der Staatskasse gerettet worden. Obwohl sie höchstens vier Milliarden noch wert ist, hat sich die Regierung lediglich mit einem Eigentumsanteil von 25,1 Prozent begnügt – der Rest des Geldes wurde als stille Einlage gegeben. Vor der Verantwortung für die Geschäftspolitik hat man sich gedrückt. »Wir werden jedenfalls auf die Geschäfte keinen Einfluss nehmen«, sagte Franz Müntefering (SPD) im ZDF. Es komme darauf an, »Stabilität in die ganze Situation bringen, damit unsere deutsche Wirtschaft auch funktioniert«. Wie diese »Stabilität« aussieht, ist im Fall Arcandor zu besichtigen. Hätte der Staat die Commerzbank voll verstaatlicht – wie DIE LINKE es für alle Privatbanken fordert –, so wäre eine präzise Vorgabe für die Geschäftspolitik möglich gewesen. Um wirklich Stabilität für die Wirtschaft und die Beschäftigten zu garantieren! Dann wäre es möglich gewesen, dass die Commerzbank die Kreditlinien der Royal Bank of Scotland übernommen hätte. Weitere Staatsbürgschaften sind bei einer Staats-Commerzbank überflüssig. Und Zigtausende von Beschäftigten bräuchten nicht um ihre Zukunft zittern!

Besonders forsche Politiker wie Laurenz Meyer von der CDU versuchen, vom Versagen der Politik abzulenken und alles auf Managementfehler zu schieben – das Fazit: »Das Problem muss privatwirtschaftlich gelöst werden.« Und Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit sekundiert: »Große Unternehmen versuchen, strukturelle Probleme auf Kosten der Steuerzahler aufzulösen.«

Es kommt ein weiteres, von der Politik verursachtes Problem hinzu. Der gesamte Einzel- und auch Versandhandel leidet seit Jahren unter der viel zu schwachen Binnennachfrage. Die Regierung Schröder/Fischer hatte den Druck auf die Lohnkosten, die Sozialleistungen und die Renten verschärft. Mit der Agenda 2010 wurden immer mehr Menschen in befristete Jobs, Minijobs und Leiharbeit gedrängt. Mit dem Arbeitslosengeld II wurden Erwerbslose unter Druck gesetzt, jeden Job anzunehmen.

Die Folgen sind verheerend. Ein immer größerer Hunger- und Niedriglohnsektor wurde geschaffen. Mittlerweile arbeiten hier knapp acht Millionen Menschen. Beschäftigten ohne Tarifschutz wurde im letzten Konjunkturzyklus Lohnverzicht aufgezwungen; real haben sie rund acht Prozent weniger als 2003. Die Bruttolöhne aller Beschäftigten sanken im Durchschnitt real um fast drei Prozent, während die Profite um über 30 Prozent zulegen konnten.

Lohndumping führt zur Strangulierung der konsumtiven Nachfrage. Im Einzelhandel sind die Umsätze von 2003 bis 2008 preisbereinigt gerade einmal um 0,9 Prozent gestiegen. Gerade weil für viele das Geld immer knapper wurde, haben in diesem Zeitraum vor allem die Discounter um über zehn Prozent zulegen können. Das »veränderte Verbraucherverhalten« fällt nicht vom Himmel, sondern hat viel mit politischen Entscheidungen zu tun. Die Warenhäuser sind doppelt unter Druck gekommen und haben in den letzten drei Jahren über zehn Prozent an Umsatz verloren. Gerade deshalb will Arcandor sich »auf eine ärmere und jüngere Zielgruppe ausrichten. So soll Karstadt künftig schon Kunden mit einem monatlichen Netto-Haushaltseinkommen von unter 2000 Euro ansprechen.«

Der Schlüssel zur Wiederbelebung der gesamten Volkswirtschaft liegt in der Stärkung der Binnennachfrage. Dies gilt ganz besonders auch für den Handel. Und es gilt vor allem auch für die Beschäftigten von Arcandor. Vor allem muss der Hunger- und Niedriglohnsektor trockengelegt werden. Deshalb fordert DIE LINKE die Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes von zehn Euro. Darüber hinaus müssen Mini-Jobs, Befristungen und Leiharbeit zurückgedrängt und beseitigt werden. Außerdem will DIE LINKE eine bedarfsorientierte repressionsfreie Grundsicherung in Höhe von 500 Euro. Allein diese Maßnahmen würden die Nachfrage auf dem deutschen Binnenmarkt um über 30 Milliarden Euro erhöhen. Hinzu kommen muss ein staatliches Zukunftsprogramm mit 100 Milliarden Euro jährlich und zwei Millionen Arbeitsplätzen. Die Lebenslage vieler Menschen wird so deutlich verbessert. Beim Handel, auch bei den Warenhäusern gäbe es wieder höhere Umsätze und die Arbeitsplätze wären wieder sicherer.

Michael Schlecht, 1951 in Hildesheim geboren, schreibt diesen Text in seiner Funktion als Mitglied des Parteivorstands der LINKEN. Der gelernte Drucker trat 1982 in die SPD ein und 2005 wieder aus. Er kandidiert bei den kommenden Bundestagswahlen für die Linkspartei in Baden-Württemberg. Beruflich ist Michael Schlecht tätig als Chefvolkswirt beim ver.di-Bundesvorstand.

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