nd-aktuell.de / 17.06.2009 / Politik / Seite 2

Sanfter Putsch mit demokratischem Anstrich

»Wahlsieger« will Architektur der Islamischen Republik verändern

Pedram Shahyar
Dass Wahlen in Iran gefälscht werden, ist nicht unbedingt etwas Neues. Trotzdem haben die »Wahlgewinner« vermutlich nicht mit dieser Reaktion gerechnet.

Oppositionelle Demonstrationen gehören in Iran nicht zur Tagesordnung – seit der blutigen Niederschlagung der politischen Opposition Anfang der 80er Jahre hatte es nur einmal, 1999, massive Demonstrationen von Studierenden in Teheran gegeben. Vor diesem Hintergrund wird der 15. Juni 2009 in die Geschichte des Landes eingehen. Trotz allgemeinen Demonstrationsverbots marschierten Hunderttausende Anhänger der Opposition in Teheran und vielen anderen Städten.

In der Nacht zuvor war die Hauptstadt Schauplatz unzähliger spontaner Demonstrationen und Zusammenstöße mit den Polizeikräften. Fünf Studierende wurden bei dem Überfall von Polizeieinheiten auf das große Wohnheim in Teheran umgebracht.

Diesmal war es kein »normaler Betrug«

Eine gewaltige Welle ist entstanden, als Reaktion auf ein Wahlergebnis, das zu offensichtlich gefälscht war. Die Wahl vom Freitag war auch keine gewöhnliche Wahl. Nicht nur die Rekordbeteiligung von über 80 Prozent sprang ins Auge. Die Woche zuvor war Teheran Schauplatz von Massendemonstrationen verschiedener Lager. Hunderttausende Anhänger der Reformkandidaten Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi marschierten unter den Parolen »Nieder mit der Diktatur« und »Freiheit«. Unzählige junge Menschen tanzten im Angesicht der ohnmächtigen Sittenpolizei in grünen Farben der Mussawi-Kampagne. So groß die Hoffnungen, so heftig der Schock, als das Innenministerium Präsident Mahmud Ahmadinedschad mit zwei Dritteln der Stimmen zum Sieger erklärte.

Dass Wahlen in Iran gefälscht werden, ist keine Neuigkeit. Bei der Wahl vor vier Jahren lag in den Morgenstunden Karrubi vor Akbar Haschemi Rafsandschani und Ahmadinedschad, landete aber zwei Stunden später auf Platz drei. Alle wussten von Verschiebungen der Stimmen und beklagten sich, hielten sich aber zurück. Diesmal gab es keinen »normalen« Betrug – diese Aktion ist eine politische Demütigung der innerstaatlichen Opponenten seitens der Fraktion um Ahmadinedschad.

Der renommierte Regisseur Mohsen Machmalbaf, der gerade in Paris eine Art inoffizieller Sprecher Mussawis geworden ist, beschrieb, wie am Freitagabend relativ kurz nach der Wahl das Innenministerium Mussawi über seinen Sieg informiert hatte. Daraufhin sei der Geistliche Führer Chamenei informiert worden, der das Ergebnis akzeptierte und dem Reformkandidaten zu ruhigen Siegesfeiern riet. Das Innenministerium informierte auch die reformorientierte Presse und verlangte auch hier, keine reißerischen Schlagzeilen zu produzieren und das Wort »Sieg« zu meiden. Vor diesem Hintergrund erklärte sich Mussawi zum Sieger der Wahl. Kurz darauf kamen die öffentlichen Hochrechnungen, und nun wurde Ahmadinedschad zum großen Sieger erklärt. Kurze Zeit später griffen Zivileinheiten der Sicherheitskräfte das Hauptquartier der Mussawi-Kampagne an. Die am Samstag angesetzte Pressekonferenz Mussawis wurde ebenfalls von der Polizei verhindert.

Schlag gegen die Pluralität der Eliten

Dass die Wahl gefälscht wurde, wird immer offensichtlicher. Der offizielle Wahlbeobachter der Mussawi-Kampagne – im Übrigen ein hoher Funktionär aus der Ära Chomeini und als iranischer Botschafter in Syrien maßgeblicher Mitbegründer der Hisbollah in Libanon – berichtete, dass ihre Beobachter nirgends in den entscheidenden Wahllokal-Räumen zugelassen wurden. Dieser Betrug war so heftig, dass das Leitmedium der Reformisten – »Djebheye Moshakerat« – nun von Putsch sprach. Auf den Straßen wurde skandiert »Dolate Kudetah – Estefah! Estefah! (Putschregierung – Rücktritt)«.

Dieser sanfte Putsch ist eine Zäsur im politischen System der Islamischen Republik. Der Reformprozess, der unter Mohammed Chatamis Präsidentschaft (1997- 2005) begann, scheiterte zu- nächst im Establishment. Der zivilgesellschaftliche Druck war aber nicht zu brechen, und die sozialen Bewegungen und Proteste sind nicht eingebrochen. Unter dem Druck von unten und der internationalen Isolation fragmentierten die Eliten in den letzten Jahren immer weiter. Teile der Konservativen, wie der Oligarch Rafsandschani oder der Superfunktionär und Atomunterhändler Laridschani haben sich hinter Mussawi gestellt. Dies stärkte die Ressourcen der Reformisten, schwächte aber ihre Legitimation. Ahmadinedschad stützt sich auf die zweite Generation im Staatsapparat des islamischen Staats, die sich noch nicht so bereichert hat. Mit einem scharfen Profil gegen die korrupten Oligarchen der ersten Revolutionsgeneration, für die symbolhaft Rafsandschani und seine Familie stehen, und mit einer Sozialpolitik der direkten Verteilung von Lebensmitteln konnte er sich eine gewisse soziale Basis in den armen und ländlichen Bevölkerungsschichten aufbauen. Er stand für einen sozialen und religiösen Autoritarismus und besetzte die soziale Frage so gegen die der politischen Freiheiten. Das ist die größte Schwäche der aktuellen Herausforderer. Auch wenn Mussawi ein neo-keynesianisches Programm und Karrubi bereits bei der letzten Wahl ein Grundeinkommen versprach – ihre alten und neuen Verflechtungen mit den mächtigen Hintermännern reduzierten ihre Glaubwürdigkeit.

Natürlich ist Iran keine Demokratie und die politischen und kulturellen Freiheiten sind sehr begrenzt. Das islamische Regime ist aber politisch relativ modern in dem Sinne, dass die Funktionseliten plural waren und pluraler wurden.

Dieser Putsch ist ein Schlag gegen diesen Pluralismus. Sollte Ahmadinedschad damit durchkommen, dann sind die anderen Flügel auf Jahre entmachtet. Der Vizepräsident unter Chatami und Promi-Blogger Mohammad Ali Abtahi meint, dass dann das Ende jeglicher Möglichkeit von Reformen innerhalb des Systems gekommen sei.

Der tiefe Riss innerhalb der Eliten kommt nun zusammen mit einer Massenbewegung von unten. Diese Konstellation ist die größte Chance für eine Verbesserung der politischen Bedingungen und die Sprengung diktatorischer Ketten seit über 20 Jahren. Ob die Bewegung erfolgreich sein wird, ob sie in einem Blutbad erstickt wird, oder ob die Eliten aus Angst vor einer selbstständigen Mobilisierung auf der Straße doch wieder die Reihen schließen, das werden die kommenden Tage zeigen.

Pedram Shahyar ist Aktivist bei Attac. Er wurde 1973 in Iran geboren und flüchtete 1986 mit seinen Eltern in die BRD.


Iranische Milizen

REVOLUTIONSGARDEN: Die 350 000 Mitglieder zählende »ideologische« Armee untersteht dem Geistlichen Führer des Landes, Ayatollah Ali Chamenei. Sie hat damit großen praktischen Einfluss auf politische Entscheidungen. Die Garden wurden im Revolutionsjahr 1979 vom Revolutionsführer Ayatollah Chomeini gegründet, der der regulären Armee misstraute. Die sogenannten Pasdaran wachen auch über Irans Mittelstreckenraketen, Boden-Boden-Raketen vom Typ »Schahab 3«.

BASSIDSCH-MILIZ: Nach offiziellen Angaben zählt die von den Revolutionsgarden kontrollierte Bassidsch-Miliz – ein paramilitärischer Verband – zehn Millionen Freiwillige. Alle öffentlichen Einrichtungen – Moscheen, Fabriken, Universitäten, Schulen – haben ihre Miliz. Rund 500 000 Milizionäre sind militärisch ausgebildet. Die Bassidschis sind die Leute fürs Grobe, eine Art Türstehertruppe der Revolution, machen Jagd auf unzureichend verhüllte Frauen, stören Feiern und montieren Satellitenschüsseln ab. 1999 und 2003 schlugen sie Studentenproteste nieder. AFP/ND

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»...doch wenigstens einmal mit den Bassidsch-Milizen, den Spitzeln der Sittenpolizei, in Konflikt gekommen zu sein gehört fast zum guten Ton – und die modernen, jungen Frauen riskieren es täglich in ihrem ganz privaten Kampf gegen das Mullah-Regime. Denn das Gesetzt schreibt vor, dass Frauen und auch Mädchen ab ihrem neunten Geburtstag ihr Haar bedecken müssen, lediglich der Haaransatz darf zu sehen sein. Auf Nichtbeachtung dieser Vorschrift stehen bis zu 75 Stockschläge. Aber der Haaransatz ist interpretierbar, schon die Jüngsten befassen sich mit der Frage, wie viel Haar zu sehen sein darf...«
Aus einer »Welt«-Reportage vom 21. November 2007