Nachfolger

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Seyed Ali Chamenei bekleidet ein Amt, das in der Welt nicht seinesgleichen hat: Er ist weder Staats- noch Ministerpräsident, weder Monarch noch Parteiführer – und dennoch die in der Verfassung festgeschriebene ranghöchste Person im Lande; nicht nur rein protokollarisch, sondern mit sehr realen Machtbefugnissen. Dieser außergewöhnliche Rang ist keine Erfindung von Rechtsgelehrten, sondern Resultat außergewöhnlicher Ereignisse – der Islamischen Revolution in Iran –, die maßgeblich bestimmt wurden von einer außergewöhnlichen Persönlichkeit: dem Revolutionsführer Ayatollah Chomeini, der jedes herkömmliche Staatsamt hätte haben können, aber keines wollte.

Chomeini starb 1989, das Amt blieb, und Nachfolger wurde Chamenei, bis dato Staatspräsident und nun von den (islamischen) Rechtsgelehrten, den Ayatollahs, zum Obersten Rechtsgelehrten berufen. Sein Amt wird hierzulande zumeist als Geistlicher oder Religiöser Führer bezeichnet.

Der heute 70-jährige, als Sohn eines Persers und einer Aserbaidschanerin in der Millionenstadt Maschhad geborene Chamenei verfügt über eine nahezu umfassende Machtfülle in der 73-Millionen-Einwohner-Republik. Er hat nicht nur das letzte Wort in strittigen Religionsfragen. Ihm obliegen Ernennung und Entlassung des Staatspräsidenten, er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ernennt die Obersten Richter, die Chefs der staatlichen Medien, kann Friedens- und ebenso Kriegserklärungen abgeben. Und das alles, ohne sich Wahlkämpfen aussetzen zu müssen, denn seine Wahl erfolgte auf Lebenszeit.

Das alles funktioniert freilich nur, solange dieses jetzt 30 Jahre bestehende Staatsgefüge nicht zusammenbricht, und so sah sich Chamenei, der sich ansonsten nur gelegentlich zu weltlichen (politischen) Dingen äußert, gestern in einem Freitagsgebet erstmals zu einer Stellungnahme genötigt. Ein beträchtlicher Teil seines Volkes sieht sich nicht nur per Wahlfälschung betrogen, sondern argwöhnt auch, dass Chamenei den mutmaßlichen Wahlfälscher Ahmadinedschad protegiert. Dieser Meinung hat er gestern neue Nahrung gegeben. Und so müssen die nächsten Tage zeigen, was seine Autorität oder die seines Amtes wirklich wert ist. Roland Etzel

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