Kinder willkommen!

Sachsen-Anhalt gehen die Kinder aus. So konkurrieren bereits erste Gemeinden mit Begrüßungsgeldofferten um Neugeborene. Am konsequentesten agiert Bornum bei Zerbst, wo es zur hohen Kinderprämie noch Baukostenzuschüsse für zuzugswillige Familien gibt.

  • Harald Lachmann, Zerbst
  • Lesedauer: 7 Min.

Lea hat es zuerst entdeckt. Aufgeregt ruft sie Carlo, und beide stürmen zu der Birke am Ufer, die umzuknicken droht. Denn ringförmig hat jemand den Stamm knapp über dem Boden angenagt. »Ein Biber! Kommt schnell, hier war ein Biber!«, winken sie die anderen heran. Neugierig betasten sie die Kerbe, die der Nager in Stamm trieb. Dann stromern sie weiter um den Teich. »Ohne Kinder würde man doch nur so dahin leben. Das ist wie ein langsames Sterben«, sinniert Silke Habelmannn, die Chefin des Kindergartens, den Lea und Carlo besuchen. Aber in Garitz gebe es da ja ganz andere Signale. Der Bürgermeister sei ein Glück für den Ort.

Jener Bürgermeister heißt Mario Rudolf. Er ist 40, hat schon zwei Halbwüchsige – und wurde vor wenigen Monaten nun erneut Papa. Entsprechend sieht es aus bei ihm. Im Wintergarten steht ein Kinderwagen und Gattin Kathrin hat gerade Paulinchen gestillt. Erst am 2. Dezember kam sie zur Welt. Sie ist eine der jüngsten Einwohner von Bornum, zu dem Garitz als größter von vier Ortsteilen gehört. »Man muss eben als Bürgermeister mit gutem Beispiel vorangehen«, grient er.

Klare Spielregeln für die Auszahlung

Rudolf stammt aus Garitz. Er mag das Dorf, holte seine Frau hierher, baute für die kleine Großfamilie das alte Gehöft seines Opas aus. Doch für die Zukunft des Ortes, dessen Bewohnerzahl zuletzt permanent sank, reichte das nicht. Geburtenknick, Landflucht, anhaltende Jobnot drohen ganze Teile Sachsen-Anhalts zu entvölkern. »2006 und 2007 wurde in Bornum nicht ein Kind mehr geboren«, erzählt er.

Das muss dem gelernten Finanzwirt wohl wie ein Schock in die Glieder gefahren sein. Vor allem um das »Spatzennest« wurde ihm angst und bange. Die Kita von der Volkssolidarität ist quasi der gesellschaftliche Mittelpunkt der Gemeinde. »Sie motiviert Eltern, sich für den Ort einzusetzen, bringt Leute zusammen, die sonst womöglich kaum groß miteinander verkehren würden«, weiß er.

Also brauchte man wieder mehr Kinder! Und so drängt Rudolf vor gut einem Jahr seine Gemeindevertreter: »Leute, was muss uns das wert sein?!« Nebenher wollte er auch ein Signal an die Landespolitik senden: »Seht, so kann es funktionieren, statt immer nur zu barmen.« Offenbar fand Rudolf die richtigen Worte. Denn heute greift man in Bornum tief in die Tasche. Für einen neuen Erdenbürger gibt es 1500 Euro aus der Gemeindekasse, bar auf die Hand, verteilt über drei Jahre.

Hat sich der Bürgermeister für seine Pauline das Begrüßungsgeld auch selbst ausgezahlt? Er lacht: »Zustehen tut es uns, aber der plötzliche Babyboom in der Gemeinde hat uns überrollt. Es konnte noch nicht fließen.« Denn mit leichtem Optimismus stellte man für die seit 2008 geltende Regelung zunächst tausend Euro in den Haushalt ein. Doch die waren schon im Februar aufgebraucht. Gleich zwei neue Bornumer kamen zur Welt. Das Geld war damit schon alle, Rudolfs mussten warten.

Es reichte aber nicht nur für Pauline zunächst nicht. Auch drei weitere kleine Neu-Bornumer kamen nicht in den Genuss, indes aus anderem Grund. Denn in Zeiten, da man alles vor allem rechtlich festzurren und gegen Eventualitäten absichern muss, läuft hier auch in Sachen Begrüßungsgeld nichts freihändig. Um es zu erhalten, muss eine Mutter ein Jahr vor der Geburt in der Gemeinde gelebt haben. Überdies darf sie wenigstens drei Jahre lang nicht wegziehen. Und bei jenen anderen drei neuen Erdenbürgern traf erstes eben nicht zu. Man wolle nicht, dass die Frauen hier entbinden, »das Geld nehmen und wieder fort sind«, so Rudolf.

»Aber natürlich taten uns jene Zuzügler leid«, räumt er ein. Deshalb gab es für deren Sprösslinge auch ein kleines Weihnachtspräsent plus 100 Euro aus der Dorfschatulle. Eine jener drei Familien darf zudem eine weitere strategische Sozialmaßnahme nutzen. Hierbei handelt es sich um eine Bauland- bzw. Grundstückerwerbsprämie. Baut einer neu, schießt die Kommune acht Euro je Quadratmeter beim Landkauf zu, steht das Grundstück schon, wächst die Summe auf zwölf Euro – jeweils für bis zu 500 Quadratmeter. Freilich gelten auch hier klare Spielregeln, so der Bürgermeister: »Man muss leibhaftig hier wohnen, darf das Haus auch nicht vermieten.« Überdies müsse in den so bedachten Familien zumindest ein Filius jünger als 14 sein.

Das Telefon klingelt. Es ist die Chefin vom Naturpark Fläming. Sie eröffnet im neuen Kultur- und Gemeindezentrum von Garitz zur 750-Jahr-Feier des Dorfes im Mai ein Infobüro. Da gibt es noch allerlei zu bereden. So muss Rudolf schnell weg. Unterwegs kreuzen zwei Erzieherinnen vom »Spatzennest« mit Krippenwagen den Weg. Ein leichtes Lächeln huscht Rudolf übers Gesicht. Für ihn gleich noch ein Stichwort. »Ende 2007 hatten wir 541 Einwohner, im Juni 2008 waren es 553 - zwölf mehr in sechs Monaten!«, freut er sich. Die Rechnung gehe offenbar überraschend schnell auf.

Wieder Leben in der Bude

Geht sie auch für die Eltern auf, die die Begrüßungsgelder erhalten? Kerstin Hagner ist eine der beiden Frauen, die Februar 2008 entbanden. Töchterchen Laura geht schon in die Krabbelgruppe, die die Kita nun extra wieder einrichten konnte. Die 24-Jährige freut sich darüber ebenso wie das agile Mädchen. Schon jetzt düst sie wie ein Wirbelwind durch das Obergeschoss des Hauses, das sich Kerstin mit Ehemann Guido gemütlich ausgebaut hat. Unten lebt noch Guidos Oma.

»Laura war ein Wunschkind!«, versichert die Kinderpflegerin in einer Klarheit, die keinen Zweifel zulässt: Man hätte sie auch ohne Prämie gewollt. Aber für die Entscheidung, in Garitz zu bauen, sei die Kita einer der wichtigsten Gründe gewesen. »Sonst hätten wir uns womöglich anders entschieden.«

Andererseits steht für sie fest: Geld sei heute wieder »der Hauptgrund, ob sich einer noch Kinder leisten kann oder nicht«. Jedenfalls hätten jene sozialen Abfederungen aus Vorwendezeiten, die sie selbst nur noch vom Hörensagen kennt, »schon ihren Sinn gehabt – Kindergeld, Ehekredite und so. Denn damals gab es doch viel mehr Kinder, und das, obwohl fast alle Frauen gearbeitet haben.« Man hätte eben seinen Kindern etwas bieten, mit ihnen jedes Jahr in den Urlaub fahren können, denkt sie.

Ein Auto fährt vor. Es ist Guido, der in einem technischen Labor in Dessau arbeitet. Er kommt die Treppe hoch, Laura stürzt ihm entgegen. Er hat nur Gesprächsfetzen mitgehört, nimmt aber den Faden auf. »Nein, ein kinderfreundliches Land sind wir auf keinem Fall!« Umso mehr freue es ihn aber, wie man in Bornum jungen Eltern zeige: »Willkommen, wir wollen euch! Wir lassen uns das auch etwas kosten.« Nur mit dem neuen Dorfspielplatz, das müsse nun endlich mal was werden, fordern beide. Dabei sei der längst fertig, angelegt durch einen ABM-Trupp. Doch hier hatte man offenbar die deutsche Bürokratie unterschätzt: Der TÜV nahm ihn noch nicht ab.

Auch mit dem Begrüßungsgeld sei das so eine Sache, denkt Kerstin. Denn darüber mussten sie einen richtigen Vertrag abschließen – samt der Verpflichtung, das Geld auf Heller und Pfennig zurückzuzahlen, falls sie doch vor Ablauf der drei Jahre das Dorf verlassen. »Ist schon etwas schräg«, findet Kerstin. Allerdings stehe für sie felsenfest, nie mehr fortgehen zu wollen.

Die ersten 500 Euro rissen Hagners übrigens zunächst nicht an. Sie legten es auf ein Sparbuch und hoffen, auch die Fünfhunderter der nächsten beiden Jahre dazu packen zu können. Auch Guidos Oma Inge Hagner legt immer mal etwas von ihrer Rente dazu. Sie freut es sehr, »dass wieder neues Leben in die Bude kommt – im eigenen Haus wie im Dorf«. Auch dem Begrüßungsfeld gewinnt sie nur Gutes ab. »Nicht dass man deshalb gleich ein Kind will, aber es ist gut für jene, die noch unentschlossen sind.«

Ein halbes Dutzend weiterer Orte in Sachsen-Anhalt kam nun auf die Idee mit den finanziellen Lockhebeln. Aber keiner erfüllt es so konsequent mit Leben wie Bornum Welch Wunder auch, die Gemeinde hat halt einen Finanzbeamten zum Bürgermeister: Man ist schuldenfrei!

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