Der Ort, wo es keine Kokosnüsse mehr gibt

Der Kampf der Indígenas in Paraguay um ihre Landrechte ist lang und zäh

  • Gerhard Dilger
  • Lesedauer: 6 Min.
Elf Monate nach dem Amtsantritt von Präsident Fernando Lugo warten Paraguays Indígenas immer noch auf den versprochenen Wandel. Ein deutscher Großgrundbesitzer verweigert die Rückgabe von Indianerland im Chaco und beruft sich dabei auf ein Investitionsschutzabkommen.
Die Sawhoyamaxa-Indianer stehen und sitzen am Rand der paraguayischen Gesellschaft.
Die Sawhoyamaxa-Indianer stehen und sitzen am Rand der paraguayischen Gesellschaft.

Die Fernfahrer, die durch die flache, weitläufige Chacoregion im Westen Paraguays brausen, haben sich an den Anblick gewöhnt. Seit elf Jahren hausen die Sawhoyamaxa-Indianer, die zur Ethnie der Enxet gehören, in Bretterbuden am Rand einer Landstraße unweit der Stadt Concepción. Ihre zwei »Dörfer« heißen Kilómetro 16 und Santa Elisa. Die 100 Familien »vom Ort, wo es keine Kokosnüsse mehr gibt«, so die Übersetzung ihres Namens, teilen das Schicksal mit Zehntausenden von Landlosen in Paraguay.

»Seit Dezember sind zehn unserer Leute an heilbaren Krankheiten gestorben«, berichtet Eriberto Ayala. »In Notfällen haben wir keine Möglichkeit, sie schnell ins Krankenhaus von Concepción zu bringen.« Der 22-Jährige ist einer der Sprecher von Kilómetro 16. Geboren wurde er in jenem Teil des Landgutes Loma Porã, das nach einer Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs in Costa Rica von 2006 traditionelles Indianerland ist.

Deutscher Landraub in Paraguay

Es handelt sich um 14 000 Hektar, die der deutsche Großgrundbesitzer Heribert Rödel bislang erfolgreich für sich beansprucht – und das Paraguay vor zwei Monaten den gut 400 Sawhoyamaxa hätte zurückgeben müssen. Doch der Prozess hängt im Parlament fest – und von den 380 000 Dollar, die die Regierung an Entschädigung zahlen soll, sind gerade 5000 Dollar geflossen.

In den achtziger Jahren köderte Heribert Rödel in der BRD über 1000 hoffnungsfrohe Anleger mit Traumrenditen, die er durch Landkäufe in Paraguay erzielen wollte. Rund 130 Millionen Mark soll er damals über seine Firma »Treubesitz-Südamerika« eingetrieben und nach Paraguay geschleust haben. Die Schiebereien brachten dem »juvenilen Finanzjongleur«, wie ihn der Spiegel 1982 nannte, vier Jahre Gefängnis und später einen Interpol-Haftbefehl ein.

Heute lebt Rödel unbehelligt in der Hauptstadt Asunción, verfügt über riesige Ländereien in mehreren Provinzen Paraguays – und über beste Beziehungen zur liberalen Regierungspartei. Allein Loma Porã ist 600 Quadratkilometer groß. 1998 ließ der Deutsche die Strohhütten einiger Sawhoyamaxa-Familien abfackeln und vertrieb sie von der Hacienda, darunter auch den damals 11-jährigen Eriberto. Zu jenem Zeitpunkt hatten sich die Indígenas bereits für eine offizielle Rückgabe ihres Landes eingesetzt. In der Hauptstadt Asunción allerdings blockierten die Senatoren, darunter viele Großgrundbesitzer, das Verfahren mit Hinweis auf ein deutsch-paraguayisches Investitionsschutzabkommen. In diesem Sinne soll sich damals auch die deutsche Botschaft verwandt haben. Im Gerichtsurteil von 2006 wird dieses Argument entkräftet: Selbst der Staat Paraguay habe eingeräumt, dass das Allgemeinwohl über dem Investitionsschutz stehe, hielten die Richter fest.

Die Hoffnung auf Lugo stirbt zuletzt

»Wir hoffen immer noch, dass Fernando Lugo dem Urteil Folge leistet«, meint hingegen Eriberto Ayala. Mehrmals hat der linke Ex-Bischof Lugo, der im August 2008 das Präsidentenamt antrat, die Wiedergutmachung an den gut 100 000 Indígenas Paraguays als vordringliche Aufgabe bezeichnet. Obwohl die Verfassung aus dem Jahr 1992 den indigenen Völkern weitreichende Rechte einräumt, sind 85 von insgesamt 182 Gemeinschaften immer noch nicht auf ihr angestammten Land zurückgekehrt.

Auch unter Lugo steht eine Wende in der staatlichen Indianerpolitik noch aus: Die Ureinwohnerin Margarita Mbywangi wurde von Lugo mit großer Geste zur Vorsitzenden der staatlichen Indígenabehörde ernannt, aber im Dezember schon wieder wegen Differenzen mit der eigenen Basis entlassen.

In einigen Indianergebieten wurde die Trinkwasserversorgung ausgebaut, in anderen half der Staat beim Hausbau. Doch das ist zu wenig. »Lugo fehlt die Richtung, zwischen seinem Diskurs und dem Regierungshandeln klaffen Welten«, kritisiert Ricardo Morínigo von der Nichtregierungsorganisation Tierraviva, die sich für die gut 12 000 Enxet im Chaco einsetzt. »In der Indígenabehörde herrscht reines Chaos.«

»Das eigentliche Problem sind die Großgrundbesitzer, die schon unsere Vorfahren versklavt haben«, betont hingegen Eriberto Ayala. Ab 1885 verkaufte der Staat jenes Land, auf dem die Indígenas seit jeher umherzogen und von der Jagd, dem Fischfang oder dem Früchtesammeln lebten, an ausländische Investoren. Bereits 1950 waren die rund 7000 Quadratkilometer der Enxet vollständig in der Hand von Privatleuten, darunter viele aus Deutschland eingewanderte Mennoniten.

Immer mehr Ureinwohner mussten sich zu Hungerlöhnen als Landarbeiter auf den Landgütern der Weißen verdingen. Die Sawhoyamaxa lebten bis in die neunziger Jahre verstreut in sieben Ansiedlungen, wo sie den Kartoffel- und Maniokanbau aufgenommen und sich Haustiere zugelegt hatten. Vom Staat erhält jede Familie monatlich ein Fünf-Kilo-Paket mit Reis, Nudeln, Öl, Salz und Matetee. Dennoch ist ihr Menschenrecht auf gute Ernährung ebenso wenig garantiert wie jenes auf Gesundheit oder Bildung. Die Analphabetenrate liegt bei 90 Prozent.

Im ganz ähnlich gelagerten Fall einer weiteren Gruppe von Enxet hat Lugo allerdings reagiert: Der Interamerikanische Gerichtshof hatte schon 2005 die Rückgabe von 16 000 Hektar an die Yakye Axa angeordnet, die Frist lief im Juli 2008 ab. Da sich die eng mit dem Clan des früheren Diktators Alfredo Stroessner (1954-1989) verbandelten Landeigentümer gegen eine Verhandlungslösung sträubten, brachte Fernando Lugo im vergangenen November eine Gesetzesvorlage im Parlament ein, das nun einer Enteignung zustimmen soll. Doch dort geht es der Regierung wie mit vielen anderen Initiativen: Weil sie keine eigene Mehrheit hat, ist sie auf das Wohlwollen der rechten Opposition angewiesen.

Deswegen stockt auch die Agrarreform, eines seiner wichtigsten Projekte. Im Vergleich zu seinen Kollegen in den Nachbarländern sind Lugos Spielräume besonders eng: Nicht nur das Parlament, sondern auch das Justizsystem und Medien liegen ausschließlich in der Hand des Establishments. Paraguay eines der korruptesten Länder Lateinamerikas – auch das ein Erbe der 61-jährigen Herrschaft von Stroessners Colorado-Partei.

Lugos Wahlversprechen einer Landreform schien besonders glaubwürdig, weil er in der ländlichen Diözese San Pedro jahrelang für die Armen Partei ergriffen hatte. Andererseits wollte er das Agrobusiness nicht vor den Kopf stoßen. Die Sojaexporte blieben als Einnahmequelle wichtig, sagt Lugo – sie machen mehr als die Hälfte der Ausfuhren aus, Paraguay ist der viertgrößte Sojaexporteur der Welt.

Die meisten Anbauflächen befinden sich in der Hand von Großgrundbesitzern, die immer mehr auf Gensoja setzen. Mittlerweile sind vier Fünftel der proteinhaltigen Bohnen gentechnisch manipuliert.

Treibende Kraft der Sojaexpansion sind die »Brasiguayos«, brasilianische Farmer, die seit den siebziger Jahren immer weiter gen Westen vorstoßen, Regenwald roden und Kleinbauern verdrängen – etwa, indem sie durch die hemmungslose Besprühung ihrer Plantagen mit Pestiziden Luft und Wasser der Anlieger verseuchen.

Auch in den Chaco sind die »Brasiguayos« vorgestoßen. Dort lässt eine brasilianische Firma riesige Landstriche roden, die sie für die Viehzucht sowie den Anbau von Zuckerrohr und Soja nutzen will. Besonders bedroht sind dadurch die Ayoreo-Totobiegosode, zu denen die letzten unkontaktierten Indígenas außerhalb des Amazonasgebietes zählen.

Zäher Kampf um indigene Landrechte

Zugunsten der Sawhoyamaxa und die Yakye Axa hat Amnesty International im April eine Kampagne gestartet – wegen des »exemplarischen Charakters« ihres Kampfes, wie die Südamerikaexpertin Louise Finer in London sagt: »Die Urteile des Interamerikanischen Gerichtshofs sind glasklar. Das sind regelrechte Testfälle, an denen sich zeigen wird, wie internationales Recht durchgesetzt werden kann.«

In Asunción bestätigt Tierraviva-Aktivist Ricardo Morínigo, die Amnesty-Kampagne habe für neuen Auftrieb gesorgt. Dass sogar eine Senatskommission die Yakye Axa besucht hat, wäre ohne internationalen Druck nicht passiert, meint er. Doch für eine Enteignung des Landes setzt sich bisher nur Sixto Pereira ein, der einzige linke Senator. Und Präsident Lugo ist auf das grüne Licht des Parlaments angewiesen. Der zähe Kampf der Indígenas ist noch lange nicht zu Ende.

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