Werbung

Nur bedingt praxistauglich

Bologna-Reform schwächt die wissenschaftliche Kompetenz der Studierenden

  • Sabine Sölbeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Für Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) war der Protest der Studierenden gegen die Bologna-Reform vor einem Monat nur eine ärgerliche Randerscheinung. Sie und andere taten die Kritik als »gestrig« ab. Doch der Bologna-Prozesses wird auch von Wissenschaftlern an den Universitäten kritisiert. Und diese Kritik ist fundamental.

Ein Ziel der Universitätsreform besteht darin, die Zahl der Studienabbrecher an deutschen Universitäten zu verringern. Daran erinnert der Soziologe Sascha Liebermann von der Universität Dortmund. Zusammen mit dem Soziologen Thomas Loer von der Universität Duisburg-Essen forscht er schon lange nach den Gründen des Studienabbruchs. Es sei kein Geheimnis, dass es einer großen Zahl von Studenten an Neugierde und Interesse fehle, konstatieren die beiden Soziologen bereits vor fünf Jahren auf dem Soziologenkongress in München, als die Bologna-Euphorie auf Seiten der Politik noch ungebrochen war. »Wollen wir diejenigen an der Universität halten, die erkannt haben, dass sie dort nicht finden, was sie gesucht haben?«, fragten damals die beiden Soziologen.

Für das Fach Soziologie sprechen Liebermann und Loer aus, was auf andere Fächer übertragbar ist. Der Bachelor, das Kernstück der Bologna-Reform, wurde in Deutschland so konzipiert, dass er sowohl berufsvorbereitend als auch generalistisch ist. Eine generalistische Ausrichtung bezeichnet eine Bildung, die keinen bestimmten Schwerpunkt vorgibt, Berufsfähigkeit aber verlangt genau diese Schwerpunktbildung. Das sei ein Widerspruch in sich, sagen Liebermann und Loer. Die Orientierung an einer Berufsvorbereitung wird eine Verschulung nach sich ziehen. Um zum Kern einer Wissenschaft vorzustoßen, bedarf es aber Zeit, Finanzen und die Bereitschaft am Erkunden des Unbekannten. Alle drei Punkte werden in der Praxis nicht umgesetzt. In sechs Semestern, sagen Studenten, die auch nebenher jobben, bleibt keine Ruhe für das Entdecken des Unbekannten. Und der Bachelor erhöht den Konkurrenzdruck. Denn hier wird erneut ausgesiebt. Finanziell schlechter gestellte Studierende haben das Nachsehen. Die Modularisierung führe nicht zu Bildung und Aneignung von Kenntnissen, sondern zum kurzfristigen Erwerb prüfungsrelevanten Wissens, das gleich wieder vergessen wird, kritisieren Liebermann und Loer. Ein systematischer Aufbau von langfristig tragfähigen Erkenntnissen sei nicht möglich.

Der Erfolg eines Studiums hängt davon ab, ob ein Student sich auf die Mühsal und Hingabe an eine Sache einlässt, die das Studium ihm abfordert. Eine Soziologie, die ihren Erfolg in Absolventenzahlen und der Produktion verwertbaren Wissens misst, kann keine gute Lehre bieten. Liebermann und Loer sind daher davon überzeugt, dass die Bachelor-Studiengänge die Wissenschaftsdisziplin schwächen. Den flüchtigen Moden des Arbeitsmarktes kurzatmig hinterherzuhecheln, führe ins Abseits.

Sascha Liebermann und Thomas Loer: Zum Selbstverständnis der Soziologie als Wissenschaft, in Karl-Siegbert Rehberg (Hrsg.): Soziale Ungleichheit – Kulturelle Unterschiede, Verhandlungen des 32. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in München 2004, Campus-Verlag Frankfurt 2006.


Bologna-Prozess

Vor zehn Jahren einigten sich die Bildungsminister aus 29 europäischen Ländern in der italienischen Stadt Bologna auf die Schaffung eines gemeinsamen Hochschulraums. Die unter dem Begriff »Bologna-Prozess« bekannt gewordene Entwicklung umfasst im Wesentlichen folgende Ziele:

Schaffung eines Systems vergleichbarer Abschlüsse, vor allem eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen (Bachelor und Master).

Einführung eines Leistungspunktesystems, des European Credit Transfer System (ECTS), und Vereinheitlichung der Ausbildung, um die europaweite Mobilität der Studierenden zu gewährleisten. Das ECTS soll gewährleisten, dass Studienleistungen zwischen einzelnen Hochschulen vergleichbar und anerkannt werden. jam

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal