Auf Wahlfang in der virtuellen Fußgängerzone

  • Markus Beckedahl
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf Wahlfang in der virtuellen Fußgängerzone

Spätestens seit Barack Obamas Wahlsieg 2008 besteht kein Zweifel mehr über die Bedeutsamkeit des Internets als Wahlkampfmedium. Im US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf wurde in Sachen politischer Kommunikation mit dem Wähler per Internet viel gewagt – und viel gewonnen. Dementsprechend hoch ist die Erwartungshaltung an deutsche Parteien: Wie wird im Mega-Wahljahr 2009 das Internet im Wahlkampf genutzt werden?

Obama hat es im personalisierten, amerikanischen Politikstil vorgemacht: Statt sich vor der Auseinandersetzung mit dem Wähler zu fürchten, ist er den direkten Dialog eingegangen und hat Unterstützer aktiv in seinen Wahlkampf einbezogen z. B. über seine Facebook Seite. Auf my.barackobama.com wurde eine virtuelle Partei-Organisation in Form eines Social-Networks aufgebaut. Unterstützer z. B. in Denver konnten sich dort mit Gleichgesinnten vernetzen und vor Ort Aktionen organisieren. Durch die Nutzung vorhandener Web 2.0- Angebote und Sozialer Netzwerkseiten können Parteien und Politiker einen Schritt auf den Wähler zugehen. Der beschwerliche und oft unwahrscheinliche Weg zur Parteiwebsite ist kein Muss mehr. Ohnehin ist den Parteien mittlerweile bewusst, dass freiwillig die wenigsten potenziellen Wähler jemals eine Partei-Webseite besuchen. Dies ist vergleichbar mit einem Wahlkreis-Büro, wo sich in der Regel auch keine Wähler hin verirren, um Plakate und Flyer abzuholen.

Das Internet bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die alte politische Weisheit in die Tat umzusetzen: Den Wähler abzuholen, wo er oder sie gerade ist. Vergleichbar mit der Fußgängerzone oder der Kirmes müssen Wahlkämpfer heute auch im Netz an die sozialen Orte gehen, wo potenzielle Wähler sich aufhalten.

Wie sieht es also aus mit der Nutzung von Web 2.0-Angeboten der Parteien in Deutschland? Die Europawahl 2009 ist gelaufen. Die Parteien haben eine ersten Bewährungsprobe hinter sich gebracht und stehen in den Startlöchern für den Bundestagswahlkampf. Nun könnte man erwarten, dass durch die Europawahl und die anstehende Bundestagswahl eine Art Wahlkampffieber ausgebrochen sei und die Parteien sich in ihrem Engagement im nach wie vor als neu angesehenen Medium zu überbieten suchten. Untersucht man jedoch die Online-Aktivitäten der Parteien, ihrer Jugendorganisationen und Spitzenpolitiker im Netz, ist hierfür bislang kein Beleg zu finden.

Netzwerke wie StudiVZ oder Facebook werden von Parteien genutzt um die Profile der Partei und vor allem der Spitzenpolitiker darzustellen und eine Verbindung zur täglichen sozialen Internetkommunikation der potenziellen Wähler herzustellen. Dabei zeigt sich, dass vorhandene Plattformen in unterschiedlicher Intensität genutzt werden. So sind zum Beispiel bei Facebook überproportional stark Grüne- und SPD-Gruppen zu finden, bei StudiVZ sind besondere die FDP und die Union hervorzuheben. Die Linkspartei scheint in der Web 2.0-Nutzerschaft nicht so viel Interesse hervorzurufen wie die anderen Parteien. Facebook ist nicht nur das Vorbild für StudiVZ, das Netzwerk ist in den Kategorien »Individualisierbarkeit« und »Kampagnenfähigkeit« um einiges weiter. Facebook bietet die Möglichkeit, Anwendungen dritter Anbieter mit einzubinden, sich multi-medial darzustellen und seine Anhänger einzubinden. Beim näheren Blick auf das Angebot der Parteien und ihrer Spitzenpolitiker zeigt sich jedoch oft schnell und deutlich, worin der Erfolgsfaktor Obamas lag und woran es der deutschen Politik oft mangelt: Zwei Schlüsselbegriffe, die jeden Wahlkampf im Web 2.0 prägen sollten – Offenheit und Glaubwürdigkeit.

Das heißt im besten Fall, den Wähler persönlich anzusprechen, ihn zu Wort kommen zu lassen und ernst zu nehmen und ihm oder ihr nicht das Gefühl zu geben, der Praktikant des Spitzenpolitikers würde die Seite bestücken, sondern der Politiker selbst. In diesem Sinn sind besonders die Grünen hervorzuheben, bei denen durch die aktive Präsenz auch von Spitzenpersonal ein natürlicher Evolutionsmechanismus eingesetzt hat. Die Geschwindigkeit für Meinungsäußerungen, Stellungnahmen und Aufrufe zu Aktionen und Veranstaltungen ohne Beteiligung klassischer Medienformate hat enorm zugenommen.

Eine weitere Möglichkeit den Wähler in einem der »Stammlokale« des Internets zu treffen, ist das Videoportal YouTube. Alle Parteien außer die FDP haben hier neben den existierenden Fraktionskanälen ihren eigenen Parteien-Kanal aufgebaut, um Videomaterial zu verbreiten. Allerdings scheint das Interesse der Wähler an den Partei-Angeboten auf YouTube nicht ganz so hoch sein. Was vielleicht auch an dem Angebot liegt.

Immer beliebter wird die Micro-Blogging Plattform »Twitter« bei Medien und Parteien. Twitter kann genutzt werden, um interessierte Menschen auf dem Laufendem zu halten, unkompliziert Neuigkeiten zu verbreiten und so z. B. Wähler über die Aktivitäten der Politiker aktuell zu informieren.

Klar ist: Alle der fünf größten Parteien in Deutschland nutzen das Web 2.0 mit unterschiedlichem Erfolg, der Durchbruch in Sachen strategische Internetnutzung und Wählermobilisierung lässt jedoch auf sich warten. Die Nutzerzahlen in den Partei-Gruppen sind sehr überschaubar – in Anbetracht einer potenziellen Wählerzahl von knapp 60 Millionen Stimmberechtigten. Ebenso gibt es wenig aktive Teilnahme an den Patei-eigenen »Mitmach-Angeboten«, wie »Team-Deutschland« (CDU) oder my.fdp.de. Es scheinen sich momentan nur die eigenen Funktionäre im Netz zu organisieren, potenzielle Wähler werden momentan über solche Aktivitäten kaum mobilisiert.

Klar ist auch, dass die Rolle des Internets als Medium der politischen Kommunikation an Bedeutung zunimmt und die Wahrscheinlichkeit, gerade Erst- und Jungwähler zielgruppengerecht anzusprechen, im Netz oft höher ist, als am Wahlkampfstand in der Einkaufsstraße. Man kann nur hoffen, dass es diesen Sommer in Sachen Internetwahlkampf noch spannender wird und sich vielleicht der eine oder andere Politiker traut, aus der bislang eher einfallslosen Masse herauszutreten.

Markus Beckedahl, Jahrgang 1976, ist Netzaktivist und betreibt seit rund sieben Jahren die Internetplattform »netzpolitik.org«. Zusammen mit Andreas Gebhard gründete er 2003 die Internetagentur »newthinking communications GmbH«. Außerdem ist Markus Beckedahl Mitveranstalter des jährlich stattfindenden Bloggerkongresses »re:publica«.

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