Von Koroibus bis Bolt

  • Heinz Florian Oertel, Sportreporter-Legende der DDR
  • Lesedauer: 3 Min.
Gastkolumne: Von Koroibus bis Bolt

Sind Namen Schall und Rauch? Niemals. Sie stehen für Menschenleistungen. Und manche ewiglich. Deshalb könnte ich ebenso an Jesse Owens und Armin Hary, Paavo Nurmi oder Emil Zátopek, Bikila Abebe und Waldemar Cierpinski erinnern. Indes, ob sich der Jamaikaner Usain Bolt, nun Schnellster der Welt, überhaupt an den Koch Koroibus, der vor 2785 Jahren den 192-m-Sprint gewann und urerster Olympiasieger wurde, besinnen will? Historisch unumstößlich bleibt: Laufen, Springen, Werfen, also das, was wir längst Leichtathletik nennen, ist Ursport.

Die Uhren schlagen nun, 2009, für die jetzige Weltelite zu den 12. Weltmeisterschaften. Und das Staunen ist verständlich: Ein uralter Sport und erst, nun, 12 Weltmeisterschaften? So ist es. Grundübel dieses historischen Hinterherhinkens sind die Grundübel der Menschheit, wie Uneinigkeit, Kompetenzstreitigkeiten, Wichtigtuereien... Diese behinderten allzu oft nicht nur den Sport. Nach Hick und Hack gab es 1983 in Helsinki die ersten Weltmeisterschaften, und die wurden für die deutsche Leichtathletik ein besonderer Triumph. Zwölf Weltmeister! Zur Erinnerung nenne ich die Namen unserer Erfolgreichsten: Marita Koch, die in Helsinki dreimal siegte, und Lars Riedel, der Diskusriese, der später fünf Titel gewann.

Genug zurückgeblickt. Jetzt ist Berlin Ausrichter der WM. Verständlich, dass die Bundeshauptstädter vom größten Fest der Welt-Leichtathletik schwärmen. Doch bloßes Schwärmen reicht nicht, um die Spreemetropole für eine gute Woche zur Welthauptstadt dieses Sports zu machen.

Sicherster Garant eines Gesamterfolges aus heimatlicher Sicht waren und bleiben immer wieder Lokalmatadore, Heimgewinner.

Ob das die deutsche Leichtathletik anno 2009 bescheren kann, darf man getrost, aber freundlich bezweifeln. Asse wie einst Koch, Riedel, Drechsler, Wühlbeck, Ilg, Weigel Gauder, Wodars, Friedek, Kobs, Buß, Henkel... sind nicht in Sicht. Doch: Halt! Henkel von Heute heißt Friedrich, und wenn diese eigenwillig-interessante Ariane beim Frauen-Hochsprung am kommenden Donnerstag die Nerven behält und möglichst 50 000 Zuschauer hinter ihr stehen, kann es rund 220 Jahre nach Preußens Friedrich II., genannt Friedrich der Große, eine Friedrich I. geben, die zudem den »Alten Fritz« um fast 20 Zentimeter Körperhöhe übertrifft.

Und natürlich besitzen auch Christina Obergföll, Nadine Kleinert, Betty Heidler oder Robert Harting Medaillenchancen.

Aber, Berlin und den deutschen Gesamtgastgebern stünde es gut zu Gesicht, zeigten sie sich als Leichtathletik-Weltbürger, die weit über den eigenen Tellerrand gucken, die jede Leistung, jeden Gast mit Sympathie würdigen. Nicht die Piefkes, sondern freundliche, pfiffige Spreeathener sind gefragt. Gastgeberknorke! Jeder kann sich jetzt bis zur letzten Siegerehrung selbst Gastgeber-Gold erkämpfen.

Und gefragt sind schließlich auch Mitgefühl und neues Zukunftsdaumendrücken für alle, die – wie die großartige Irina Mikitenko – es diesmal nicht schafften, weil sie verletzt sind oder aus anderen Gründen scheiterten.

Ach ja, richtig: Ein Wort mit sechs Buchstaben ist überhaupt noch nicht genannt. So bleibt es auch bei mir. Denn: Verdächte schüren, immer wieder, Schlammrühren ist gleich nach dem Übel an sich das Nächstschlechte für den Sport.

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