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»Austritt, wenn es am meisten schadet«

Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein hat die Linkspartei gute Chancen – wenn sie sich nicht selbst ein Bein stellt

  • Velten Schäfer, Schwerin
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Linkspartei-Spitze in Schleswig-Holstein sieht die Fronten geklärt und hofft auf einen harmonischen Wahlkampf. Andere fürchten spektakuläre Austritte kurz vor dem Bundes- und Landtagswahltermin am 27. September – ähnlich wie zuletzt in Hessen.
Björn Radke
Björn Radke

Volker Rätzke aus Eutin hatte seine 15 Minuten Ruhm – zumindest im »Ostholsteiner Anzeiger«. Mit einem bösen Brief ist der dortige Linkspartei-Sprecher aus der Partei ausgetreten. Seine Kreistagsfraktion in Ostholstein nennt er einen »unmotivierten Haufen von Ahnungslosen und unsolidarischen, machtgierigen Egomanen«. Die Fraktion habe sich nicht mit Politik befasst, sondern damit, »wie man einen gewählten Kreisvorstand loswerden« könne.

Ex-Mitglieder gründen Partei

Er, Rätzke, werde nun zusammen mit dem gleichfalls ausgetretenen ostholsteiner Kreischef Thorsten Lünzmann »eine neue Linke Plattform« gründen. Interessenten können sich heute um 19 Uhr im Eutiner Bürgerbüro des Noch-MdB Lutz Heilmann einfinden.

Mit ähnlicher Verbitterung sind im Umfeld der Landeslisten-Wahl weitere Mitglieder ausgetreten, etwa die Neumünsteraner Bundestags-Direktkandidatin und Ratsherrin Esther Hartmann. Sie sprach von einem unsolidarischen Klima und bezog sich auf einen Artikel der Lübecker Stadtparlamentarierin Asja Huberty, 22, zum Spätabtreibungsgesetz auf der Landespartei-Homepage. Dieser sei in einer »menschenverachtenden Sprache« verfasst.

Die bisherigen Austritte kann man dem Parteizusammenhang um die Kreisvorstände Neumünster und Ostholstein bzw. dem überregionalen Zusammenschluss »Neumünsteraner Kreis« (NK) zuordnen, der den im Herbst gewählten, angefochtenen und im Januar bestätigten Landesvorstand um die Sprecher Cornelia Möhring und Björn Radke für illegitim hält. Bei der Listenwahl am 16. August ist diese Gruppierung unterlegen: Für Lünzmann etwa, der sich auf den zweiten Platz beworben hatte, stimmten drei Delegierte.

Nun klären sich die Fronten mit einem letzten Gewitter – hofft zumindest Landessprecherin Cornelia Möhring, die auf dem ersten Listenplatz für den Bundestag steht: »Es waren letztlich Wenige, die den eingeschlagenen Weg nicht mitgehen konnten und wollten. Nun ziehen sie sich zurück oder wenden sich anderen Parteien zu. Das ist bedauerlich, gehört aber zu den unvermeidbaren Klärungsprozessen einer jungen Partei.«

Für Möhring sind auch die Verantwortlichkeiten geklärt: »Die Protagonisten des NK wie auch der Kommunistischen Plattform haben nie die inhaltliche Auseinandersetzung gesucht. Es ging immer nur um persönliche Interessen.« Weiter bilanziert Möhring: »Das Bild der Zerstrittenheit gehört längst nicht mehr zur gelebten Realität unserer Landespartei. Seit dem Herbst hat sich mehr und mehr ein breiter Konsens entwickelt.«

Rückzug eines Landeschefs

Intime Kenner der Partei befürchten allerdings, dass es noch zu weiteren »lauten« Parteiaustritten aus dem Umfeld des NK kommen könnte, womöglich – wie zuletzt in Hessen – kurz vor dem Wahltermin. Dann, wenn es am meisten schadet. »Die machen das scheibchenweise. Das hat etwas Destruktives«, sagt einer aus dem Umfeld der Landesspitze, der namentlich nicht genannt werden will.

Dem Wahlkampf abträglich sein könnte allerdings auch der Umstand, dass Landessprecher Radke nach dem Landeslisten-Parteitag seinen Rückzug angekündigt hat und das Amt ruhen lässt. Obwohl das auch von ihm ausgearbeitete Sofortprogramm auf Zustimmung stieß, wurde Radke nicht auf die Landesliste gewählt. Radke hatte argumentiert, in einer Aufbauphase müsse eine enge Verzahnung von Vorstand und etwaiger Fraktion gegeben sein. Ohne Erfolg. Nun wäre im Falle eines Wahlerfolgs der Vorstand in der Fraktion nicht vertreten. Es gibt Stimmen, die eine Absprache zwischen den Lübeckern und Kielern für diese Listenzusammensetzung und den Sturz Radkes verantwortlich machen: Die beiden großen Kreisverbände seien an einem starken Landesvorstand nicht interessiert. Zitieren lassen will sich indes auch mit dieser Einschätzung niemand.

Parteichef Oskar Lafontaine hatte den Delegierten auf dem Listen-Parteitag eingeschärft, dass sie nicht nur für sich handelten, sondern für die ganze Partei, die sich mit einem Erfolg in Kiel weiter festigen würde. Was der Landesverband daraus macht, müssen die nächsten Wochen zeigen. Die Umfragen sehen die Partei im hohen Norden bei fünf Prozent. Und interne Kalamitäten sind zwischen Nord- und Ostsee nun wahrlich kein Exklusivmerkmal der Linkspartei.

Cornelia Möhring
Cornelia Möhring
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