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Schwieriges Gedenken an schwierigem Ort

Berliner Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« provoziert Rassismusdebatte

  • Anne Britt Arps
  • Lesedauer: 3 Min.
Vor wenigen Tagen wurde in Berlin eine Ausstellung eröffnet, über die bereits heftig gestritten wurde, bevor die Öffentlichkeit sich überhaupt ein Bild machen konnte. Der Streit berührt ein sensibles Thema: der Umgang des Westens mit dem kolonialen Erbe und die Kollaboration mit dem Naziregime in afrikanischen, asiatischen und arabischen Ländern.
Afrikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg
Afrikanische Soldaten im Zweiten Weltkrieg

Zumindest um eines müssen sich die Macher der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg« keine Sorgen machen: um Desinteresse. Schon vor der Eröffnung am Dienstag in den Berliner Uferhallen war um die Exposition zum 70. Jahrestag des Kriegsbeginns in Europa ein heftiger Streit entbrannt. Der Grund: Philippa Ebéné, Geschäftsführerin der Neuköllner Werkstatt der Kulturen, wo die Schau ursprünglich gezeigt werden sollte, hatte ihre Raumzusage kurzfristig zurückgezogen. Inhaltliche Absprachen seien nicht eingehalten worden, kritisierte sie. Ausstellungskurator Karl Rössel hingegen bewertet die Entscheidung Ebénés als einen Akt der Zensur. Nach dem Einschreiten des Berliner Migrationsbeauftragten Günter Piening wird seit gestern nun doch eine zweite, kleinformatige Version der Ausstellung in der Neuköllner Werkstatt gezeigt. Zu ihrer Eröffnung bemühten sich die Vereinsvorstände Giesel und Ebéné darum, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen.

»Ein vergessenes Kapitel der Geschichte« wollen die Macher der Schau aufschlagen. Gemeinsam mit dem Berliner Kooperationspartner AfricAvenir e.V. erinnern sie erstmalig mit einer Ausstellung an diejenigen, die sonst in den Geschichtsbüchern nicht vorkommen: an die Millionen Kolonialsoldaten und nichtweißen Widerstandskämpfer, die im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Alliierten kämpften, an zivile Opfer, Zwangsarbeiter und Zwangsrekrutierte außerhalb Europas. Zu diesem Kapitel gehört für die Ausstellungsmacher des rheinischen Journalistenbüros, auf deren jahrelangen Recherchen die Ausstellung basiert, auch das Thema Kollaboration. In einem Extra-Abschnitt präsentieren sie daher Kollaborateure mit dem Naziregime in afrikanischen, asiatischen und arabischen Ländern.

Dass hier gleichzeitig an Opfer und Kollaborateure erinnert wird, hält Werkstattleiterin Ebéné für unangebracht: »Die Franzosen ehren ihre Soldaten auch, ohne im gleichen Atemzug auf das Vichy-Regime zu verweisen.« Genau ein solches Gedenken hatte Ebéné im Sinn, als sie mit AfricAvenir eine Veranstaltungsreihe in ihren Räumen plante: Es sei von vorneherein klar gewesen, dass die Bilder der Ausstellung nur Beiwerk zur eigenen Veranstaltungsreihe sein sollten. Bereits im Mai habe sie Rössel gegenüber ihre unterschiedlichen Vorstellungen deutlich gemacht. Dieser sei jedoch nicht zu einem Gespräch bereit gewesen.

Rössel streitet das ab und bezeichnet die kurzfristige Absage als einen »Skandal«. »Das Thema Kollaboration war von Anfang an Teil des Konzepts«, sagte er. Dieses habe Philippa Ebéné seit Mai vorgelegen. Für ihn ist ein Gedenken an die Opfer nicht ohne die Erwähnung der Kollaborateure möglich, »ohne die es Millionen von Toten nicht gegeben hätte«.

Dass Ebéné nur an dem die arabischen Kollaborateure betreffenden Teil der Ausstellungstafeln Anstoß genommen hätte, wie Ausstellungsmacher Rössel mehrfach behauptet hatte, wiesen Giesel und Ebéné deutlich zurück. Offenbar auf Grundlage dieser falschen Behauptung war in den vergangenen Tagen gegen Ebéné der Vorwurf des Antisemitismus erhoben worden.

Verschiedene Migrantenorganisationen wie auch die Rassismusforscherin Susan Arndt, die Ebénés Entscheidung unterstützen, sehen in der Nebeneinanderstellung von Befreiern und Kollaborateuren zudem die Gefahr einer Delegation von Schuld: »Die europäische Maschinerie, die das alles in Gang gesetzt hat, wird so leicht ausgeblendet«, sagte Arndt.

Die in der Debatte herumgeisternden teils massiven Angriffe gegen die Leiterin der Werkstatt verhindern indes eine tatsächliche Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Kritik. Auch verstellen sie den Blick auf die Inhalte der trotz Schwächen sehenswerten Ausstellung. Dass diese überhaupt an die Öffentlichkeit trägt, was außerhalb Europas passiert ist und dass von dort Widerstand ausging, bewertet auch Susan Arndt positiv.

Neben 96 Schautafeln erzählen in Video- und Hörstationen Zeitzeugen sowie junge Migranten ihre Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, Kolonialsoldaten, Widerstandskämpfer und Nachfahren. Die Ausstellung ist noch bis Ende des Monats in den Uferhallen in Berlin-Wedding sowie in Kopie in der Neuköllner Werkstatt der Kulturen zu sehen.

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