Das Kreuz mit dem Kreuz

Zu viel passive Therapie hilft dem Rücken wenig

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Ob Ischias, Hexenschuss oder die Bandscheibe – mit Rückenschmerzen haben rund 80 Prozent der Bevölkerung zumindest hin und wieder zu kämpfen. Zu selten wird dagegen jedoch eine Bewegungstherapie verordnet, stellten Experten fest.

Rückenleiden verursachen mindestens 18 Milliarden Euro gesellschaftlicher Kosten. Mehr als ein Viertel aller Krankheitstage gehen auf Muskel- und Skeletterkrankungen zurück, die meisten davon im Zusammenhang mit der Wirbelsäule. Leider bevorzugen Betroffenen zur Linderung eher Ruhe und Schonung auf der Couch anstatt sich weiter oder sogar mehr zu bewegen. Den Wünschen der Patienten entsprechen auch viele Ärzte – und zwar entgegen aktuellen Behandlungsleitlinien, wie kürzlich eine Studie aus Heidelberg feststellen musste.

Die Forscher von der Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Hei-delberg hatten 630 Rückenschmerzpatienten einmal vor der Behandlung und noch einmal nach sechs Monaten befragt. Neben Physiotherapie wurden ihnen vor allem Ruhe oder Bettruhe sowie Spritzen verordnet. Oft war das mit einer Krankschreibung kombiniert. Je häufiger die Schmerzen schon aufgetreten waren, desto mehr Therapien nahmen die Betroffenen parallel in Anspruch – und zwar mit steigender Zahl auch mehr passive. Den aktuellen Therapieempfehlungen entsprechend sollten aber die Aufklärung der Patienten und die Ermunterung zur Bewegung im Vordergrund stehen.

Der subjektive Wunsch und Eindruck der Erkrankten, dass ihnen Ruhe am besten helfen würde, sei trügerisch. Denn nur ein Drittel von ihnen profitierte nach der Heidelberger Befragung von der meist passiv orientierten Behandlung.

Bei 66 Prozent der Patienten, die bis dahin noch keine chronischen Schmerzen gehabt hatten, verschlechterte sich der Zustand. Auch bei 13 Prozent der schon wiederholt Behandelten nahmen die Beschwerden zu. Die Forschungsgruppe, deren Studie in der Fachzeitschrift »Schmerz« veröffentlicht wurde, empfiehlt Fortbildungen für die Mediziner und mehr Informationen für die Bevölkerung.

Nun gibt es viele Ursachen für Schmerzen im Kreuz: An erster Stelle steht zu wenig Bewegung, dazu kommen Fehlstellungen und einseitige Belastungen der Wirbelsäule. Wird letztere nicht genügend beansprucht, werden Wirbelkörper porös, Bandscheiben brüchig, Bänder erschlaffen und Muskeln verkümmern. Aber nur bei 20 Prozent der Patienten lassen sich spezifische Ursachen für die Schmerzen diagnostizieren. Häufig beobachtet werden im Zusammenhang mit Rückenschmerzen Depressionen und depressive Verstimmungen. Auch in der Schulmedizin werden psychologische und psychosoziale Faktoren bei der Beurteilung von Rückenbeschwerden mit einbezogen. Es wird danach gefragt, ob der Patient Lasten hat, »die nicht mehr zu (er)tragen sind«, ob es sich um ein »fehlendes Rückgrat« handeln könnte oder um Dinge, die eben »hinter dem Rücken« geschehen und im Alltag lieber verdrängt werden.

Der kurzzeitige Besuch einer Rückenschule scheint oft keine Abhilfe zu schaffen – oder, wie schon vor einigen Jahren festgestellt wurde, die engere Zielgruppe gar nicht zu erreichen. Gründe für die spärlichen Erfolge der klassischen Rückenschule liegen wohl darin, dass sie Belastungen eher vermeiden will. Neuere Ansätze tendieren dagegen zu dosierter Belastung trotz Schmerz und können so eine bessere Haltung und einen stabileren Bewegungsapparat unterstützen.

Auch wenn rückenfreundliche Bürostühle, Matratzen, Schuhe und Fahrräder hoffentlich nicht nur dem Kontostand des Verkäufers nützen, sollten Betroffene – in Abklärung mit ihrem Arzt – aktiver im Alltag werden und nach einer geeigneten Sportart suchen. Empfohlen werden unter anderem Laufen, Walking, Radfahren, Tanzen, Schwimmen oder Aquafitness. Für jede Altersgruppe geeignet sind Qigong und sanfte Formen von Tai Chi und Yoga.

www.patientenleitlinien.de

www.agr-ev.de

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