Rituale statt Antworten

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 2 Min.

Bevor der Mann am Samstag in München von zwei unreifen Burschen erschlagen wurde, hatte er alles richtig gemacht. Die Alternative hätte Wegsehen geheißen. Die Leute ringsum, die vielleicht auch ihn hätten retten können, haben sich für diese Alternative entschieden. Sie leben noch. Es gibt Orte und Zeiten, da zählen Menschenleben weniger. Und doch kann es passieren, dass auf einem Münchner S-Bahnhof plötzlich Heldentum gefragt ist, und dass dieses mit dem Schlimmsten vergolten wird. Nichts ist weniger vorhersehbar als dieser Augenblick.

Was dem Mord von München folgt, ist leider allzu vorhersehbar. Die Forderung nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts, nach mehr Videoüberwachung und Senkung der Altersschwelle zur Strafmündigkeit prallt auf die Warnung vor ungebremster staatlicher Kontrolle. Wer das Wahlrecht bereits für Kinder fordert, findet zuweilen dennoch, dass man erst mit 21 Jahren voll strafmündig sein darf. Die Rituale werden dem Verbrechen nicht gerecht. Sie verhindern nicht seine Wiederholung. Und dass es Hilflosigkeit ist, die ihnen zugrunde liegt, macht die Sache nicht besser. Gewalt ist etwas, mit dem schon Kinder konfrontiert sind. Und die subtilste, aber vielleicht schlimmste Gewalt geht vom Gefühl der Ungerechtigkeit aus. Die wachsende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen fordert eine gesellschaftliche Strategie. Staatliche Repression kann nicht daraus verbannt werden. Aber sie ist auch nur eine Form von Gewalt.

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