New Opel als Leitbild

  • Armin Schild
  • Lesedauer: 5 Min.
New Opel als Leitbild

Es ist ein Wagnis. Es ist New Opel. Eine Traditionsmarke und zugleich ein neuer Automobilkonzern, mitten in der Megakrise, mitten in Europa, gegründet 2010. Magna, GM und Opel-Belegschaften sollen dieses Unternehmen schaffen, das sich durch eine neue Markenstrategie, innovative Produkte, die Eroberung von Wachstumsmärkten (wie z. B. Russland) und eben ein neues Verhältnis zu den eigenen Mitarbeitern (durch aktive Mitarbeiterbeteiligung am Haben und Sagen) auszeichnen soll.

Auch wenn es viele nicht glauben: Opel hat diese Win-Win-Win-Perspektive. Klar, dass Opel vor einem schmerzhaften Restrukturierungsprozess steht. Aber das, was hier entsteht, ist kein 08/15-Unternehmen. Opel bekommt seine Chance sicher auch, weil solidarische, gut organisierte Belegschaften, Betriebsräte und IG Metall den politischen Entscheidungsträgern keine Wahl ließen. Die Arbeitnehmervertreter werden auch dem neuen Management in den anstehenden Gesprächen ihre Positionen klar aufzeigen. Sie heißen: keine Standortschließungen in Europa, keine unfreiwillige Beendigung von Arbeitsverträgen und eine ausgewogene Laste- und Volumenverteilung auf alle europäischen Werke. Das ist möglich und realistisch.

Was wären die Alternativen gewesen? Bei Nacht und Nebel an Fiat verscherbelt zu werden, wie es zu Anfang Wirtschaftsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) unter dem Einfluss von Lobbyisten wie Roland Berger beabsichtigte? Oder die »Planinsolvenz«? Oder die wenig hoffnungsfrohe Perspektive, »heim ins GM-Reich« gezwungen zu werden?

Am Märchen von der angeblich erfolgreichen GM-Insolvenz wird es besonders sichtbar: 30 000 Existenzen sind vernichtet, die Hälfte der GM-Marken ist für immer verloren, die Hälfte der Fabriken aufgegeben und 2500 Händlerverträge gekündigt. GM ist nicht besser, sondern lediglich kleiner geworden. Die Konsequenzen haben andere zu tragen: Das Top-Management ist fast das Gleiche geblieben. Die Kosten der Insolvenz von GM liegen schätzungsweise bei 50 Milliarden US-Dollar. Nein! Die Insolvenz zu verhindern und nicht mit GM zwangsweise wiedervereinigt zu werden, war die richtige Alternative für Opel.

Aber es zu wollen, ist nicht gleich es zu können. Am Beispiel Opel konnte man in den letzten Wochen sehen, wer in Deutschland wirtschaftspolitische Kompetenz hat – und wer nicht. Das Opel-Management verdiente sich dabei keine Lorbeeren. Über Monate befand es sich auf der Zuschauertribüne. GM pokerte, im eigenen Überlebenskampf gefangen.

Wer also hat Opel gerettet? Im hessischen Wahlkampf 2008 war es Wirtschaftsprofi Roland Koch (CDU) ganz alleine, der ohne jedes Konzept, aber mit viel Medienresonanz Rüsselsheim trügerische Hoffnung und hessisches Staatsgeld in Aussicht stellte. Dann rettete der noch größere Wirtschaftsexperte Jürgen Rüttgers (CDU) den Standort Bochum im Vorbeiflug in Detroit. Sodann musste die neue Wunderwaffe des Wirtschaftsflügels der Union zu Guttenberg ran. Er wollte, in dieser Reihenfolge, Opel an Fiat verscherbeln, dann die vermeintlich geordnete Planinsolvenz, dann wollte er eine Weile gar nichts mehr (aber auch das öffentlichkeitswirksam). Am Ende, als alles so gekommen war, wie er es seit Amtsantritt nicht gewollt hatte, sagte er staatstragende Sätze wie: Wir sind jetzt auf einem guten, aber steinigen Weg.

Schließlich die Kanzlerin. Während sie sich öffentlich bedankte bei allen, die mit Geduld und Beharrlichkeit an einer Lösung gearbeitet haben (wohlgemerkt: insbesondere gegen ihre politischen Freunde), erklärte ihr zukünftiger Koalitionspartner ebenso öffentlich, bei einer schwarz-gelben Regierungsbildung werde die Opel- Rettung überprüft und möglicherweise wieder rückgängig gemacht. In Hessen, wo alles seinen Anfang nahm, kritisierte FDP-Landeschef und Vizeministerpräsident Jörg-Uwe Hahn, als ob er zwölf Monate auf dem Mond gelebt hätte, die Politik wegen ihrer einseitigen Festlegung auf einen Opel-Verkauf an Magna – und damit indirekt auch Ministerpräsident Koch. Jedoch, wegen seines extraterrestrischen Aufenthaltes hatte er wohl keine Gelegenheit, diesen mit überzeugenden Argumenten wieder auf den rechten ordnungspolitischen Pfad zu führen.

Wären Sie, lieber Leser, Analyst einer Ratingagentur – die Frage nach der »wirtschaftspolitischen Kompetenz« würden sie wohl wie ich beantworten: Die Wirtschaftskompetenz von Schwarz-Gelb ist ungefähr so überbewertet wie die Lehman-Zertifikate kurz vor der Pleite.

Die Opel-Belegschaften haben in den vergangenen Wochen und Monaten Stärke gezeigt, weil sie solidarisch zusammenstanden. Sie ließen sich nicht gegeneinander ausspielen oder gar spalten. Sie verweigerten sich der grausigen Mixtur aus ordnungspolitischem Grundsatzpalaver und perspektivlosem Standortpoker, den die Politik schon längst eröffnet hatte. Die Opelbelegschaften sind die Helden der Krise, denn sie haben Kompetenz, Beharrlichkeit, Solidarität und Selbstvertrauen gezeigt. In einem Meer von Opportunisten, Populisten und Glaubenskriegern.

Der Einsatz der Arbeitnehmervertreter für das Konzept eines (gerade auch für die IG Metall problematischen) Investors wie Magna gilt dem Ziel, eine gute Zukunft für über 100 000 Menschen bei Opel, seinen Zulieferern und den Händlern zu ermöglichen. Magna sollte bei den Verhandlungen diesen Vertrauensvorsprung in ein neues europäisches Automobilunternehmen nicht unnötig verspielen. Es besteht die Chance, etwas Wichtiges zu schaffen: ein neues Leitbild für ein neues europäisches Automobilunternehmen. Auf der Basis von sozialer Partnerschaft, technologischer Innovation und nachhaltiger Unternehmensstrategie.

Der wirkliche Zukunftsplan für New Opel wird auf der Klugheit und der Stärke solidarischer Belegschaften ruhen. Oder es wird ihn nicht geben. Gelingt der Plan, ist die Welt um ein gutes Beispiel dafür reicher, dass solidarisches Handeln zwar schwieriger, aber schöner und erfolgreicher ist, als der Egoismus und Populismus der heute Herrschenden in Wirtschaft und Parlamenten.

Armin Schild, 1961 in Römershausen (Mittelhessen) geboren, ist seit Januar 2005 Leiter des IG Metall-Bezirks Frankfurt und Mitglied im Aufsichtsrat der Adam Opel GmbH in Rüsselheim. Wie viele andere Gewerkschafter protestierte auch der gelernte Stahlformenbauer am Mittwoch gegen die Schließung des Opel-Werkes im belgischen Antwerpen.

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