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Kreative, die aus der Kälte kamen

Festival »NordWind« präsentiert Performancekunst aus Skandinavien im Hebbel am Ufer

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Pathos und Emotion wollen sie in diesem Jahr wiederentdecken helfen, die künstlerischen Leiterinnen Ricarda Ciontos und Katja Kettner. Dazu haben sie für die aktuelle Ausgabe ihres 2006 begründeten Festivals »NordWind« Performancekunst aus den skandinavischen Ländern eingeladen. Was sich bislang auf verschiedene Spielstätten verteilte, konzentriert sich diesmal auf die drei Häuser des Hebbel am Ufer.

Nahezu alle Genres sind in den 27 Veranstaltungen mit 89 Künstlern aus neun Ländern innerhalb von acht Tagen vertreten und beweisen, dass unsere nordischen Nachbarn selbst in der Kälte kreativ sind. So eröffnet das norwegische Regieduo Ida Müller und Vegard Vinge den Festivalreigen mit seiner Version des Ibsen-Klassikers »Ein Puppenheim«: In farbenprächtigem Gehäuse entwickeln sie starke Bilder um Entfremdung, Einsamkeit und emotionalen Amoklauf, vermittelt über eine Bühnensprache von Oper bis Puppentheater.

Die zwölf Werke des offiziellen dänischen Kulturkanons nimmt in »Zarathustras Onkel« humorvoll-kritisch Vestergaard unter die Lupe, die Houkka Brothers aus Finnland laden zu ungewöhnlicher Pilgerreise und erzählen von der Suche eines Mannes nach dem unaufhörlichen Gebet des Herzens. »Traurige Lieder aus dem Herzen Europas« kennt eine Prostituierte: Kristian Smeds kritisiert darin zwanghaften Konsum und wie Machtlosigkeit Gewalt gebiert. Und als work in progress bündelt der finnische Regisseur das Nachdenken von elf litauischen Künstlern über Tschechows »Kirschgarten«. Zur Kristian-Smeds-Nacht gehört auch die Deutschland-Premiere des Films »Der unbekannte Soldat« nach dem finnischen Nationalepos. In Smeds Fassung berichtet ein einfacher Soldat von Kriegen, Siegen, Niederlagen.

Neue Dramatik aus Dänemark, Schweden und Finnland präsentiert in Lesungen eine weitere Reihe. Karikierend untersucht etwa Christian Lollike in »Die Geschichte der Zukunft« mit einer Collage aus Zitat, Diskurs und Werbeslogan die Umbrüche nach dem Mauerfall in Ost und West. In Mika Myllyahos »Panik« streiten zwei Brüder darum, welche Methode einen gemeinsamen Freund am besten therapiert. Dass das Reykjavik City Theatre und die Mind Group Iceland in »You are here« eine zu Bruch gegangene Welt verhandeln, nimmt angesichts der isländischen Bankenkräche kaum wunder. Und die Baktruppen befasst sich in einer Performance voll absurdem Europunk mit der Menschheitsentwicklung von der Eisenzeit bis zur Finanzkrise. Dancepop serviert im Konzert die Bloodgroup, Magnetic North und Barokksolistene verknüpfen gar wagemutig Jazz und Folk mit Barockmusik, und zur »Barock Jam Session« lädt im Abschlusskonzert der norwegische Geiger Bjarte Eike.

Zusammen mit lebensgroßen Kuscheltieren führt das Karttunen Kollektiv aus Finnland tanzend in eine fiktive Welt des Glücks, während die Schwedin Gunilla Heilborn in »Potato Country« eine Melange aus Tanz, Theater und Text vorstellt. Um Vermissen des Anderen und die Angst davor dreht sich die Choreografie »Before Long« des Norwegers Alan Lucien Oyen, eine intime Tanzstudie um Zeit und Raum liefert in »Untitled Partner« Scentrifug aus Schweden, Dance Screen Sweden zeigt eine Auswahl international preisgekrönter Tanzfilme. Das ganze Festival über kontrastiert die Videoinstallation »Square Wonder Globe« von Skyr Lee Bob urbanes Leben mit den rauen Küsten Islands.

30.9.-7.10., Hebbel am Ufer, Kreuzberg., weitere Informationen: www.nordwind-festival.de

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