Schau mit Scheuklappen

Nach Nürnberg jetzt in Berlin: Kunst und Kalter Krieg – Deutsche Positionen 1945-1989

  • Peter H. Feist
  • Lesedauer: 6 Min.
»Übergang« heißt das Gemälde, das A.R. Penck 1963 in Dresden schuf.
»Übergang« heißt das Gemälde, das A.R. Penck 1963 in Dresden schuf.

Just an dem Tag, an dem die deutsche Einheit gefeiert werden soll, wird in der Hauptstadt die zuvor in Nürnberg in etwas anderer Zusammensetzung gezeigte Ausstellung eröffnet, die daran erinnert, wie die bildende Kunst mehr als vierzig Jahre lang zu Unterschied und Gegensatz zwischen den beiden Teilen Deutschlands beitrug oder versuchte, sich dem entgegenzustellen. Die Ausstellung im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums (DHM) passt zu anderen Bemühungen in dem Jahr mehrerer Jubiläen, dem Gesellschaftssystem der DDR jeden Erfolg abzusprechen.

Jedes Kunstschaffen vollzieht sich unweigerlich unter bestimmten sozialökonomischen und politischen Bedingungen. Im besiegten Deutschland standen sich die zuvor alliierten Siegermächte und zwei gegensätzliche Gesellschaftsformen sofort in einem Kalten Krieg gegenüber, und beide von ihnen eingerichtete deutsche Teilstaaten mussten an diesem mit allen Mitteln betriebenen Wett- und Überlebenskampf teilnehmen. Sie wollten es allerdings auch. Wie immer waren die Künste mit ihren ideellen und emotionalen Wirkungen eines dieser Mittel. Kapitalismus und bürgerliche Demokratie handhabten das verdeckter als die Diktatur des Proletariats. Die fügte in der Tat vor allem um 1950 unter sowjetischem Druck für einige Jahre der Kunst viel Schaden zu und griff auch später immer wieder dumm und dogmatisch in den Kunstprozess ein, abwechselnd mit der Erkenntnis, wie wertvoll der für die eigene Sache sein konnte. Bei den ausschlaggebenden Rahmenbedingungen siegte am Ende der Westen, und für die Sieger scheint damit auch das Urteil über die Kunst gefallen zu sein. Deren eigene Entwicklung wird weitgehend ignoriert. Die »staatskonforme« Kunst aus der DDR sei mit dem Staat gescheitert und wertlos geworden. Ein Auftrag an Künstler sei immer schädlich für die Kunst. Als künstlerisch belangvoll gelten nur Werke aus der BRD und von Dissidenten in der DDR. Daran möchte die Ausstellung im DHM wieder einmal keinen Zweifel aufkommen lassen, genau wie kürzlich die Schau zu 60 Jahren Grundgesetz.

Man hätte auch anders vorgehen können. Die US-amerikanische Kunsthistorikerin Stephanie Barron, die schon zwei wichtige Ausstellungen zu deutscher Kunst des 20. Jahrhunderts kuratiert hatte, wollte bei ihren Landsleuten die Wissenslücken über deutsche Kunst nach 1945 ausfüllen und suchte vor drei Jahren Unterstützung vor allem bei Eckhart Gillen von den Kulturprojekten GmbH Berlin, der zu den wenigen westdeutschen Fachleuten gehört, die auch die ostdeutsche Kunst gut kennen. Er beweist das wieder in einem gleichzeitig mit der Berliner Ausstellung erschienenen Buch, das viele Auskünfte gibt, die im Ausstellungskatalog fehlen oder diesen korrigieren. Die Kulturstiftung der Länder, die man zur Finanzierung brauchte, war froh, ein Projekt für das Jubiläumsjahr angeboten zu bekommen. Es entstand aber keine Ausstellung, die den Betrachtern ermöglichen würde, die Werte der in den beiden Teilen Deutschlands geschaffenen Kunst vergleichend zu prüfen.

Selbstverständlich hätte keine Ausstellung für alle wichtigen Künstler und Tendenzen in West und Ost Platz geboten, und jede Ausstellung muss die persönliche Sicht der Kuratoren vorführen. Hier sind aber Auswahl und Proportionen dermaßen voreingenommen und polemisch, dass man die Lust am Hinschauen verlieren könnte. Auch Gillens Buch verrät den westlichen Blickwinkel. Die Veranstalter behaupten, sie würden seinerzeit nicht wahrgenommene Dialoge zwischen Künstlern aus dem Osten und Westen jetzt sichtbar machen. Sie haben aber wenig von den Modernisierungen des Realismus in der DDR begriffen, ignorieren realistische Bestrebungen in der Bundesrepublik, unterschätzen das Streben nach einer neuen und gemeinschaftlichen Sicht auf den Menschen an Stelle einer Suche nach neuen Formen und feiern nur Dissidenten in der DDR, die westlich sein wollten.

Die Ausstellung versucht, die Entwicklung in den einzelnen Jahrzehnten mit einer Gruppierung der Werke nach jeweils dominierenden Problemen und Stilen zu verbinden. Es gibt eindrucksvolle Kombinationen wie die gegenläufigen Körperkrümmungen in Gerhard Altenbourgs großer Zeichnung »Ecce homo« und dem zeitgleichen, tief gebeugten, schuldbewussten »Gefesselten Prometheus« des Bildhauers Gerhard Marcks. In diese Anfangssituation gehören die einzigartigen Zeichnungen Wilhelm Rudolphs aus dem zerstörten Dresden, zu denen als Überraschung auch ein frisch restauriertes Gemälde von 1948 aus dem Depot des DHM gesellt wurde, dessen zarte Farben wie ein Hoffnungsschimmer sind. Unbegreiflicherweise fehlen an dieser Stelle so markante, wegbahnende Werke wie Hans Grundigs »Den Opfern des Faschismus« und Wilhelm Lachnits schon 1945 gemalter »Tod von Dresden«.

Später wird Fritz Cremers erster Entwurf zum Buchenwalddenkmal mit dem abgelehnten Wettbewerbsentwurf von Bernhard Heiliger zu einem Denkmal für den unbekannten politischen Gefangenen konfrontiert. Es fällt unter den Tisch, dass es in Buchenwald zu einem weltbekannt gewordenen Denkmal kam, während sich die internationalen Initiatoren für das andere Denkmal auf keinen Aufstellungsort einigen konnten, schon gar nicht auf Westberlin. Cremers Plastik bleibt das einzige Beispiel für die so bedeutende und vielfältige Bildhauerkunst in der DDR! Druckgrafik kommt überhaupt nicht vor. Willi Sitte wie Harald Metzkes und Ronald Paris sind nur mit je einem frühen Bild vertreten; wie sich ihre Kunst in der Folgezeit entfaltete, interessierte auch die Katalogschreiber nicht. Mit Rudolf Berganders »Hausfriedenskomitee«, einem Aufbaubild eines Malers, der es nur 1953 in die Dresdner Kunstausstellung schaffte, und einem Brigadebild von Heinrich Witz, der auch nur kurze Zeit durch Alfred Kurella hochgelobt wurde, wird die seit Jahren verbreitete Auffassung zementiert, dass dies der sozialistische Realismus gewesen sei, an dem die DDR-Führung immer festgehalten habe.

Verschiedene der in der Bundesrepublik aufgekommenen künstlerischen Tendenzen, die alle den Anschluss an die international tonangebenden, zunächst französischen, dann US-amerikanischen Richtungen gewinnen wollten, werden ausgiebig mit großformatigen Beispielen und Varianten ausgestellt. Merkwürdigerweise sollen sie Belege für das Wirtschaftswunder sein, selbst wenn es sich um höhnische Kritik von Einzelgängern am Kapitalismus oder die wortwörtliche Verwurstung von Literatur durch Dieter Roth handelt. Die durchaus effektvolle Variante der Op Art und kinetischen Kunst in rund zwei Dutzend Reliefs von Heinz Mack gehört wie die Strichmännchen von A. R. Penck, die wechselnden Gestaltungsweisen von Gerhard Richter und die Geschichtslandschaften von Anselm Kiefer seit langem zum bestens bekannten Profil der bundesrepublikanischen Kunst. Einige Beispiele von Tübke und Mattheuer sind ans Ende der Ausstellung gerückt. Die Formuntersuchungen, die Hermann Glöckner in Dresden mit kleinen Fundstücken unternahm, waren eine Entdeckung, die Stephanie Barron besonders begeisterte.

Die Fotografie und für den Westen auch die Videoverwendung werden nachdrücklich hervorgehoben. Fast ein Drittel der ausgestellten Künstler gehört zu diesen Kategorien. Damit wird zweifellos eine wichtige Tendenz erfasst. Die Fotografie wurde zuerst in der BRD, später auch in der DDR zu einem anerkannten Zweig der bildenden Kunst und zwang die Malerei, auf ihre Bilder zu reagieren, was sehr verschieden erfolgte.

Der wuchtige Katalog enthält lesenswerte Informationen und Reflexionen, aber die DDR wird vorwiegend knapp und abfällig behandelt, und es gibt peinliche Fehler. Die Leipziger Malerschule wurde nicht gegründet, sondern nur von einigen Kritikern so genannt. Die Dresdner Kunstausstellung fand nicht alljährlich statt, Metzkes ist nicht »in erster Linie für seine Arbeiten in staatlichem Auftrag bekannt«, Tübkes Bilder über »Dr. Schulze« (Varianten, kein Zyklus) waren keine inoffiziellen Arbeiten und führten nicht zu seiner Beurlaubung als Dozent. Der Verlag preist den Katalog auf dem Rücktitel als Grundlagenbuch zur deutschen Kunstgeschichte nach 1945 an. Sollten die Fachleute das akzeptieren – dann Gute Nacht!

Kunst und Kalter Krieg – Deutsche Positionen 1945-1989, Berlin,
Deutsches Historisches Museum, Unter den Linden 2, bis 10. 1. 2010, tägl. 10-18 Uhr, Eintritt 5 €, am 3. 10. freier Eintritt; Katalog (Dumont), 460 S., geb., 32 €.
E. Gillen: Feindliche Brüder? Der Kalte Krieg und die deutsche Kunst 1945–1990, (Nicolai), 512 S., geb., 39,95 €.

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