Nes-Zen

Zur Seele: Erkundung mit Schmidbauer

  • Lesedauer: 4 Min.
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München
Dr. Wolfgang Schmidbauer arbeitet als Psychoanalytiker und Autor in München

Manchmal passiert etwas, das einen stocken lässt, wenn man eine Aussage wiederholen möchte, die sich bisher als brauchbar erwiesen hat. In meinem Fall ist das die Behauptung, dass sich eine Psychotherapie von chirurgischen Eingriffen dadurch unterscheide, dass sie jedenfalls nicht schadet. Ich spreche solche Sätze vor allem dann, wenn ich einen Mann oder eine Frau für eine Gruppentherapie gewinnen möchte, und füge hinzu, »vorausgesetzt, der Therapeut versteht sein Handwerk«. Ich halte sehr viel von dieser Methode, die soziale Ängste und Beziehungsprobleme häufig rascher und wirtschaftlicher bessert als die Einzeltherapie.

Nun hat in Berlin ein ärztlicher Kollege seine Patienten mit einer merkwürdigen Form von Gruppentherapie plus Nervengift behandelt. Zwei sind an den Substanzen gestorben, die er ihnen gegeben hat, um den therapeutischen Prozess intensiver zu machen. Intensiver? Das behaupten jedenfalls die Anhänger der Psycholyse, die heute in der Schweiz lernen müssen, weil sich die Begründer dieser Methode – allen voran der inzwischen verstorbene Hanscarl Leuner aus Göttingen – schon längst wieder von ihr abgewandt hatten.

Die Berliner Katastrophe zeigt, dass die Geschichte nicht immer als Tragödie beginnt und sich als Farce wiederholt. Sie kann auch als Farce beginnen und plötzlich tragisch werden. Der Gedanke, man könnte durch chemische Stoffe Lernprozesse ersetzen, wirkt bizarr. Aber er erlebte in den sechziger Jahren eine kurze Blüte, als Aldous Huxley über seine Erfahrungen mit Meskalin berichtete und wenig später LSD entdeckt wurde, jene legendäre Droge aus dem Mutterkorn, die Halluzinationen auslöst, künstliche Psychosen, mystische Erleuchtungen, je nach Standpunkt des Betrachters.

Noch nicht ganz vergessen ist doch auch Timothy Leary, Psychologe in Harvard, angesehener Wissenschaftler, später vom FBI auf die Liste der meistgesuchten Kriminellen gesetzt. Leary wurde unterstellt, er verführe Jugendliche zum LSD-Konsum; in Wahrheit hat er einen therapeutischen Gebrauch abgelehnt. LSD ist nicht für jedes Gehirn etwas – nur die Gesunden, Glücklichen, Schönen, Hoffnungsvollen, Humorvollen und Agilen sollten nach einer solchen Erfahrung suchen. Damals wurde auch das spöttische Wort vom Nes-Zen geprägt – Erleuchtung, schnell löslich wie Nes-Café.

Ich kann da ein wenig mitreden. Durch meine Huxley-Lektüre neugierig geworden, habe ich mir 1962 das damals noch legal erhältliche Meskalin gekauft und es ausprobiert. Ich kenne die angeblichen Erleuchtungen also aus eigenem Erleben, würde aber sicher von den Anhängern der Psycholyse hören, eingefleischte Skeptiker dürften sich nicht wundern, dass ihnen die spirituelle Welt keinen Millimeter entgegenkommt.

Ich erinnere mich an interessante Grenzerfahrungen – etwa die Vorstellung, wie ein Riese in Baumwipfelhöhe zu marschieren, was ich mir heute als Ausdruck juvenilen Grössenwahns auslege. Damals habe ich gelernt, dass psycholytische Drogen uns nichts geben, sondern etwas wegnehmen: jene zahlreichen, unbewussten Prozesse, durch die wir in einer beständigen, kontrollierbaren Welt leben. Wenn die Farben bunter werden und die Lichterlebnisse magisch, wenn die Möbel anfangen, im Takt der Musik zu tanzen, ist das keine Erweiterung des Bewusstseins, sondern die Rückkehr in einen primitiv-verwirrenden Geisteszustand, in dem Sinneserlebnisse nicht korrigiert und gefiltert werden.

1971 habe ich dann mit Jürgen vom Scheidt das Handbuch der Rauschdrogen geschrieben, in dem wir beide von unserer Selbstversuchen sprachen und sagten, die wichtigste Lehre daraus sei gewesen, künftig auf solche Mittel der Erlebnisveränderung zu verzichten.

Psycholyse zieht Therapeuten an, die sich nicht damit abfinden können, dass eine psychologische Behandlung ein Lernvorgang ist, der Zeit und Mühe kostet. Es ist für viele Helfer schwierig, in die psychotherapeutische Welt der Lernprozesse hineinzufinden, die nicht durch Medikament oder Operation ersetzt werden können. Die mehrjährige Ausbildung und die sorgfältige Supervision der ersten Behandlungen sind eine Schule der Geduld, der Bereitschaft, seelische Störungen ernstzunehmen und sich nicht einzubilden, man könnte sie mit dem einen oder anderen Kunstgriff wegzaubern. Sorgfältige Therapeuten trennen, gerade wenn sie von der Grundausbildung her Ärzte sind, Psychotherapie und medizinische Intervention, wie die Injektion von psychoaktiven Stoffen. Wunderheiler aber wollen alles in einer Hand halten und sich wie anderen weismachen, dass die Getreidehalme schneller wachsen, wenn man an ihnen zieht.

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