Olaf Scholz' verfrühte Prognose

Buchempfehlung für einen SPD-»Hoffnungsträger«

Es ist schön, wenn Menschen lernfähig sind, aber manchmal dauert es eben eine ganze Weile. Gute sechs Jahre ist es her, dass Gregor Gysi in Berlin ein Buch vorstellte, das er geschrieben hatte. »Was nun?« hieß das Werk und Gysi dachte darin laut Untertitel »über Deutschlands Zustand und über meinen eigenen« nach.

Wie es heutzutage so üblich ist, lud Gysi einen Präsentator ein, der nicht gerade zu seinen politischen Freunden gehört – Olaf Scholz, damals Generalsekretär der SPD. Man schrieb das Jahr 2003; Gysi war aus der Politik raus; die PDS war im Bundestag nur noch mit zwei Einzelkämpferinnen vertreten und steckte in einer tiefen Krise.

Entsprechend lässig saß Scholz auf dem Podium, sprach einigermaßen herablassend über Gysis Ausführungen und mokierte sich über den Begriff des demokratischen Sozialismus, von dem Gysi und die PDS nicht lassen wollten, den aber Scholz am liebsten aus dem SPD-Programm gestrichen hätte.

Der SPD als Regierungspartei ging es seinerzeit noch gut. Gerhard Schröder hatte seine Agenda 2010 verkündet, aber kaum jemand bekam sie schon persönlich zu spüren. Mini-Jobs und Ich-AGs waren noch nicht lange in Kraft gesetzt. Hartz IV und die neuen Montagsdemos kamen erst später. Je stärker jedoch der Unmut auch in der SPD über Schröders Kurs der Neuen Mitte und der Agenda-Politik wurde, desto mehr kam Scholz die Rolle zu, die Basis im Zaum zu halten.

Dabei war er nicht zimperlich, was ihm mit teils miserablen Wahlergebnissen auf Parteitagen vergolten wurde – auch, weil sich das Parteivolk an den Kanzler und Parteivorsitzenden Schröder selbst nicht herantraute. Im Sommer 2003 jedoch, auf dem Podium mit Gysi, sagte Scholz den Untergang der PDS voraus: Die Zeit sei über sie hinweg gegangen: »Die Sache ist vorbei.« Verschiedene Menschen aus der PDS, so Scholz damals, müssten »sich fragen, ob sie sich neu orientieren«. Natürlich hoffte er dabei auf Zuwachs für die SPD.

Es kam dann ganz anders. Der Schröder-Kurs brachte die Betroffenen gegen die SPD auf. Zehntausende gingen aus Protest auf die Straße; zehntausende Genossen orientierten sich tatsächlich neu und verließen die Partei. Schröder zog die Reißleine und zettelte vorzeitige Bundestagswahlen an, bei denen nur zwei Jahre nach Scholz’ kühner PDS-Prognose die LINKE in den Bundestag einzog – in ihren Reihen etliche ehemalige Sozialdemokraten.

Scholz überstand die Wahlniederlage von 2005 komfortabel; er wurde Arbeitsminister in der großen Koalition. Zuletzt, im Wahlkampf 2009, zog er eine ganze Serie von Sozialgesetzentwürfen aus der Tasche, von denen man zuvor jahrelang nichts gehört hatte. Genutzt hat es nichts, die nächste, noch viel schlimmere SPD-Pleite folgte.

Aber Olaf Scholz, über viele Jahre führend am Niedergang der SPD beteiligt, rief sich kurzerhand zum Hoffnungsträger aus und will nun stellvertretender Parteivorsitzender werden. Neuerdings ist er sogar ganz offen für Koalitionsüberlegungen in Richtung Linkspartei.

Wie sich die Zeiten ändern. In der SPD wird notgedrungen bilanziert und umgedacht. Ein durchaus passender Zeitpunkt für Scholz, ein Buch zu schreiben. »Was nun?« wäre ein treffender Titel, und es könnte darin beispielsweise um Deutschlands Zustand und um seinen eigenen gehen. Und vielleicht kommt sogar Gregor Gysi und stellt der Öffentlichkeit das Buch vor.

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