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Das Doppelleben des Kurras/Bohl

Buch über den Mörder des Studenten Benno Ohnesorg erschienen

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein idyllisches Plätzchen, dieses kleine Restaurant »Schleusenkrug« am Kanal hinter dem Berliner Zoo, im Agentendeutsch »Trude« genannt. Hier, auf der Westseite der Frontstadt, traf sich hin und wieder in aller Stille ein Mann namens Otto Bohl mit seiner Kurierin. Er übergab ihr topgeheimes Material, das sie über die Grenze nach Ostberlin brachte. Otto Bohl, mit Klarnamen Karl-Heinz Kurras, wurde 1967 zu einer Person der Zeitgeschichte, weil er am 2. Juni den Studenten Benno Ohnesorg während einer Demonstration gegen den Schah von Persien erschoss.

Der Mord an dem Studenten war gleichzeitig das Ende einer Agentenkarriere, denn für das MfS, für das er seit 1955 hochbrisante Berichte lieferte, war er nicht mehr zu gebrauchen. Nun galt es nur noch, das Geheimnis zu hüten. Das gelang bis 2009, dann platzte, mehr durch ein Zufall, die Bombe. Kurras, der Studentenmörder, war ein Stasispitzel, einer, der im erbittert tobenden Kalten Krieg dem Feind im Osten seine Dienste anbot und diese dankbar angenommen wurden. Die, die ihn einst als ehrliche Beamtenhaut verteidigten, der nur mal so aus Notwehr einen Studenten tötete, konnten sich nun nicht mehr halten. Kurras, ein Spion, ein Feind, ein Kommunist!

»Wer erschoss Benno Ohnesorg?«, fragt Autor Armin Fuhrer, der gestern sein Buch an jener Stelle präsentierte, wo Kurras einst seine Mikrofilme übergab. Die Frage ist seit 1967 beantwortet, doch in dem Sinne zu interpretieren, wer dem Westberliner Polizeibeamten und MfS-Agenten die Mörderhand hielt. Tötete er in Erfüllung seiner Polizeipflicht oder im Auftrage des DDR-Geheimdienstes? Muss die Geschichte der Westberliner Studentenbewegung neu geschrieben werden? Dass das MfS mit einer solchen Bluttat gezielt auf die Unruhen Einfluss nehmen wollte, dafür gibt es keinerlei Belege. Es macht auch keinen Sinn, mit dem tödlichen Schuss versiegte die sprudelnde Quelle, die über ein Jahrzehnt hochbrisante Informationen aus Westberliner Polizeikreisen lieferte.

Das Doppelleben des Karl-Heinz Kurras ist nur aus den dramatischen Schlachten des Kalten Krieges mit all seinen Schattierungen heraus zu verstehen. Kurras stellte sich in den Dienst der DDR und war gleichzeitig ein strammer preußischer Beamter, der stets seine Pflicht erfüllte. Ein Widerspruch, der im geteilten Berlin keiner war, wo tagtäglich die Schlacht tobte, wo sich Agenten aus aller Herren Länder tummelten, wo jedes Mittel recht war, um den Gegner in die Pfanne zu hauen. Und wo der kalte in einen heißen Krieg umzuschlagen drohte.

Der Autor zeichnet ein sehr präzises Bild von dem Polizisten und Agenten Kurras, der die Westberliner und bundesdeutsche Welt veränderte und macht Motive und Hintergründe seines Handelns sichtbar. Der Leser bekommt einen Eindruck, schreibt der Autor, wie stark die Westberliner Polizei schon seit den 1950er Jahren von der Stasi unterwandert war. Das »schon« setzt einen falschen Akzent. Denn gerade in dieser Zeit hatte sich ja aus einer geeinten Nachkriegspolizei eine geteilte Staatsmacht herausgebildet, wo oft der Straßenzug darüber entschied, für welche Seite man arbeitete. Und Kurras hat das getan, was seiner Nachkriegsbiografie entsprach. Er hat beide Seiten bedient.

Was heute gern unterschlagen wird: Kurras tötete den Studenten Benno Ohnesorg nicht als MfS-Agent, sondern als Mitglied des Westberliner Staatsschutzes, es war keine eingeschleuste Agentenpistole, sondern seine Dienstwaffe. Und vor Gericht steht Karl-Heinz Kurras am kommenden 16. November nicht als Stasi-Spitzel, wie es in letzten Überschriften zu lesen war, sondern als alternder Westberliner Waffennarr, der es nicht lassen kann, sich mit scharfen Schießeisen zu umgeben.

Armin Fuhrer, »Wer erschoss Benno Ohnesorg?«, 160 Seiten, be.bra verlag, 14,95 Euro.

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