nd-aktuell.de / 09.10.2009 / Politik / Seite 8

Freier Binnenmarkt für Polizeidaten

Bürgerrechtsorganisationen starten Kampagne gegen Informationssammlung von Ermittlungsbehörden

Ines Wallrodt

Anfang April 2009 untersagte die Bundespolizei mehr als 100 Personen die Ausreise nach Frankreich, um sie von den Protesten gegen den NATO-Gipfel abzuhalten. Als Begründung sollte der Verdacht ausreichen, sie könnten dem Ansehen der Bundesrepublik schaden. Ein Gericht hob das Verbot zwar auf, nach Straßburg durften die Antimilitaristen trotzdem nicht. Denn wenige Meter weiter verweigerten ihnen die französischen Grenzer die Einreise. »Deutsche und Franzosen hatten sich ein Büro geteilt und den Computer mit dem Inpol-Eintrag einfach umgedreht«, erläuterte Angela Furmaniak, wie der »kleine Grenzverkehr von Daten« funktioniert. Das ist einer der Fälle, mit denen die Rechtsanwältin vergangene Woche bei einer Veranstaltung in Berlin die alltäglichen Folgen der zunehmenden »Verdatung« von Menschen beschrieb. Rechtschutz sei unter diesen Bedingungen immer weniger möglich.

Europaweit sind bereits personenbezogene Angaben von Millionen Menschen in Informationssystemen wie Inpol oder SIS gespeichert, die von Polizei oder Geheimdiensten betrieben und selbstverständlich auch abgefragt werden. Der nächste Fünfjahresplan der europäischen Innenminister, der im Dezember verabschiedet werden soll, werde den »freien Binnenmarkt für Polizeidaten« weiter vervollkommnen, so Heiner Busch vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. Dieses neue Stockholm-Programm solle die länderübergreifende Zusammenarbeit und die nötigen technischen und gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, um den »digitalen Tsunami« beherrschbar zu machen.

Aber auch die Überwachungsgegner vernetzen sich zunehmend grenzübergreifend. Rund 40 Bürgerrechtsorganisationen aus elf Ländern starteten nun gemeinsam die Kampagne »Hol dir deine Daten zurück«. Kern dabei ist, Auskunft bei den Verwaltern von Datenbanken zu verlangen. Denn bislang sei völlig unklar, wie viele Personen in einer der Sammlungen auf Länder-, Bundes- oder EU-Ebene erfasst sind, erklären die Initiatoren der Aktion. Niemand könne wissen, wann man an einer der »digitalen Grenzen« in Europa scheitert, warnt Eric Töpfer vom Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin. Zusätzlich zu zentralen EU-Datenbanken finde derzeit eine dezentrale Vernetzung statt, erklärt Töpfer, bei der sich Behörden gegenseitig ihre nationalen Bestände öffnen.

Noch weit mehr als Politaktivisten oder Fußballfans haben die Ermittlungsbehörden Migranten im Visier. Die überwiegende Zahl der Einträge im Schengener Informationssystem SIS betreffen sie. Anwältin Furmaniak kann die Geschichte eines in der Schweiz verheirateten Mannes erzählen, die in ähnlicher Weise viele Migranten erleben. Er durfte nicht nach Deutschland einreisen, weil die Grenzbeamten seinen Namen in einer Datenbank entdeckten. Der Eintrag besagte, dass der türkischstämmige Mann vor Jahren abgeschoben worden sei, was nach deutschem Recht ein dauerhaftes Einreiseverbot nach sich zieht. Der Mann war aber nie abgeschoben worden. Nachforschungen, wie seine Daten in das System gekommen sein könnten, blieben erfolglos, das Verbot trotzdem wirksam.

Als besonderes Problem beschreiben Anwälte, dass immer nur bei dem Land Widerspruch eingelegt werden kann, das den Vermerk ins System eingespeist hat. »Von Syrien aus die Datenspeicherung in Deutschland aus der Welt zu schaffen, ist fast aussichtslos«, weiß Furmaniak.

Mit ihrer Kampagne raten die Bürgerrechtler, sich vorsorglich um die eigene »digitale Akte« zu kümmern. Grundsätzlich ist es möglich, eine Löschung etwaiger Einträge zu erreichen. Allerdings ist das aufwendig. Zur Erleichterung haben die Organisatoren einen »Anfragegenerator« entwickelt, der Briefe an Bundeskriminalamt oder Zoll automatisch erstellt. Man füllt die Felder aus, wählt die Stellen, an die die Anfragen gestellt werden soll, und die »Bitte um Auskunft über zu meiner Person gespeicherte Daten« muss nur noch ausgedruckt und unterschrieben werden. Anhand der Rückmeldungen wollen die Organisationen einen Eindruck bekommen, wie viele Leute in welchen Datenbanken gespeichert sind. Und sie erhoffen sich davon einen Schub für Proteste. Denn noch beziehen sich zu wenige Kämpfe auf die europäische Ebene, wie Gipfelaktivist Matthias Monroy kritisiert.

www.datenschmutz.de[1]

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