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Jubiläumsfest mit trotzig-traurigen Nebentönen

Nach dem desaströsen Wahlergebnis feiern die Genossen 20 Jahre Ost-SPD

  • Gabriele Oertel
  • Lesedauer: 4 Min.
Vermutlich hätten sich die Genossen ein besseres Hier und Heute zur Würdigung ihres gestrigen Tuns gewünscht. Dass die deutsche Sozialdemokratie ausgerechnet zum 20. Jahrestag der Ost-SPD in einer ihrer tiefsten Krise steckt, gab der Jubiläumsfeier im Berliner Abgeordnetenhaus am Mittwochabend einen zusätzlichen Schuss Melancholie.

»Gerade jetzt!«, ruft Wolfgang Thierse zum Abschluss seiner nachdenklichen Rede dann doch mit einer Spur Trotz in der Stimme. Und die zum 20. Jahrestag der Ost-SPD geladenen über 100 Gäste danken es ihm mit entschlossenem Beifall. Der soll freilich vor allem Ermutigung sein. Für Thierse zum Beispiel, der gerade bei der Bundestagswahl seines Direktmandats verlustig gegangen ist und sich gar nach jüngsten Presseinformationen auf eine Kampfabstimmung um das Amt des von der SPD gestellten Bundestagsvizepräsidenten einlassen muss. Oder für Markus Meckel, einen der anwesenden Mitbegründer der SDP, dem – wie Thierse in Berlin – ausgerechnet von der linken Konkurrenz das Direktmandat im Brandenburgischen abgejagt wurde. Vielleicht ist das Klatschen auch als Trost für Wolfgang Tiefensee gedacht, den nur noch Tage im Amte befindlichen Bundesminister, der als Chef des SPD-Forums Ost zum kollektiven Erinnern eingeladen hatte.

Damit sind die Sozialdemokraten am 7. Oktober im Berliner Abgeordnetenhaus nicht allein. Einen Stock unter ihnen wandeln die Besucher der Ausstellung »Die Mauer ist weg«, auf dem Gang gegenüber locken Aufkleber der Bündnisgrünen mit dem wehmütigen Slogan »Schön war die Zeit«. Rückblicke werden dieser Tage allerorten groß geschrieben – auch wenn die Genossen der SPD nicht so ganz glücklich darüber sind, dass von den groß angelegten Feierlichkeiten zum Jubiläum der Maueröffnung am 9. November ihre eigenen Verdienste vom Herbst 1989 in den Schatten gestellt werden.

»Meilenstein«, »Sternstunde«, »Kampfansage«, »Neuanfang«, »Schritt von wahrlich historischer Bedeutung«, »überaus kühnes Vorhaben, das in einem Desaster hätte enden können«, »vielversprechendste Neugründung des Herbstes '89«, – die Laudatoren überbieten sich. Greifen nach Superlativen, um den Gründungsvätern der ostdeutschen Sozialdemokratie in all dem Jubel über die Grenzöffnung vor 20 Jahren Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen. Dass der Vorsitzende der Historischen Kommission der SPD, Prof. Bernd Faulenbach, nicht unerwähnt lässt, wie sehr die SPD-Führung in der Bonner »Baracke« vom Tun in Schwante überrascht wurde, kann durchaus als leichter Seitenhieb verstanden werden. Denn auch das 20-jährige Jubiläum des Ost-Ablegers hat der Parteivorstand im Willy-Brandt-Haus offenbar verschlafen.

Das allerdings ist angesichts der wenig freudvollen Lage der SPD nach der Bundestagswahl beinahe verständlich. An der kommt auch an diesem Abend – so sehr Meckel auch eine andere Erinnerungspolitik an die »Freiheits- und Demokratiegeschichte jenseits des eisernen Vorhangs« anmahnt – kaum einer vorbei. Tiefensee spricht von der »ermatteten« Demokratie des Jahres 2009. Faulenbach vom Grund zu Selbstbewusstsein und Stolz »gerade in diesen Tagen«. Und Thierse angesichts des 23-Prozent-Debakels für seine Partei von einer »mehr als schallenden Ohrfeige«. Der Bundestagsvize wirkt deutlich angefasst. Fordert von seiner Partei nicht nur Trauerarbeit und Analyse, sondern vor allem Streit. »An Streitunterdrückung hat die Partei gelitten, das hat sie krank gemacht«, schimpft er – und lässt die Zuhörer mit der Frage allein, ob er diesen Vorwurf an Gerhard Schröder oder Franz Müntefering adressiert.

Bei Oskar Lafontaine und Gregor Gysi bleibt Thierse nicht so im Ungefähren. Entertainer nennt er die und mahnt die SPD, es gar nicht erst zu versuchen, gegen die beiden Fraktionschefs der LINKEN »in einen Überbietungswettbewerb in Sachen Populismus einzutreten«. Die Sozialdemokraten sollten sich vielmehr – bei allen Emotionen wie bitteren Erfahrungen – rational zur Linkspartei verhalten und nicht in eine »Fixierungsstarre« zu verfallen. »Was tagespolitisch mit der LINKEN möglich und notwendig ist«, wird vor Ort entschieden«, sagt Thierse. Der vertritt übrigens an diesem Abend in Berlin den daheim aus naheliegenden Gründen nicht abkömmlichen Thüringer SPD-Chef Christoph Matschie, der sich bekanntlich justament gegen durchaus vorhandene Möglichkeiten und Notwendigkeiten für einen Politikwechsel in Thüringen entschieden hat.

»Bitte keine überflüssigen falschen Eide mehr, aber auch keine Verbrüderungsfantasien«, mahnt Thierse fast pathetisch am Ende seiner Widmung gen Links. Was Hausherrn Walter Momper völlig kalt lassen dürfte. Der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses hatte schon zu Beginn der Jubiläumsfeier die hauptstädtische SPD gelobt und darauf hingewiesen, dass das auch nach sieben Jahren noch unter Spannung stehende »Zweckbündnis« Rot-Rot in Berlin »mittlerweile bei den Akteuren und den Bürgern akzeptiert wird«.

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