Gestylt bis zum Kollaps

Mainzer Projekt will Jugendliche schützen

  • Ute Klockner, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Zwei Drittel aller Mädchen in Deutschland machen während ihrer Pubertät eine Diät, rund 30 Prozent der Gymnasiastinnen haben laut Studien erste Symptome von Ess-Störungen.

»Der Übergang von einer Diät zu einer ernsthaften Essstörung ist oft fließend«, sagt der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz, Michael Huss. Mit dem neuen Mainzer Schultraining zur Ess-Störungsprävention, kurz: MaiStep, will die Klinik zusammen mit dem Sozial- und dem Bildungsministerium in Rheinland-Pfalz sowie dem MädchenHaus Mainz, FemMa e.V., dieser Krankheit bei Jugendlichen vorbeugen.

Im Oktober startet MaiStep für rund 1800 Schülerinnen und Schüler an neun Schulen im Land. In fünf Trainingseinheiten im Zeitraum von fünf Wochen werden die 13- und 14-Jährigen darin unterstützt, ein gesundes Bewusstsein für ihren Körper zu entwickeln. Ein Prozent der Deutschen erkrankt an Magersucht, bis zu drei Prozent an Ess- und Brechsucht, etwa vier Prozent an anderen Formen von Ess-Störungen. Die Tendenz ist steigend. »Auf 20 erkrankte Mädchen kommt ein Junge«, zitiert Diplompsychologe Arne Bürger die Statistik.

Ess-Störungen als Reaktion

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Neben biologischen Faktoren spielten vor allem individuelle Aspekte eine Rolle. »Während der Pubertät stecken die Jugendlichen in einer Identitätsfindungskrise, manche kriegen ihr Leben nicht geregelt«, sagt Huss. Sind die Belastungen zu hoch, könne die Entwicklung einer Essstörung ein möglicher Bewältigungsversuch sein. Das Umfeld reagiere auf den Gewichtsverlust zunächst mit Komplimenten. Dies sporne Betroffene weiter an, bis sie schließlich keine Kontrolle mehr über ihren Körper hätten. Die Folgen von extremer Gewichtsabnahme seien neben Depressionen unter anderem Organschäden, Knochenschwund, Herzrhythmusstörungen und Wachstumsstopp. Nicht selten führe die Krankheit zum Tod.

«Der Druck von Gleichaltrigen ist brutal groß“, erklärt Huss. Das Aussehen spiele bei Jugendlichen eine immer wichtigere Rolle. »Die Kleidung muss eng anliegen, der Bauchnabel frei sein ausgerechnet eine Stelle, an der sich gerne Speck ablagert«, so Huss. Aber auch das über die Medien vermittelte Ideal mit der Gleichung »Wer schlank ist, ist erfolgreich« sei mitverantwortlich für Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Bei MaiStep lernen die Jugendlichen, wie subjektiv Schönheit ist.

Film über Computertricks

»Wir zeigen keine Fotos von abgehungerten Frauen oder reden über Diätpläne von Essgestörten. Das kann die Situation verschlimmern«, erklärt Arne Bürger. Stattdessen sollen körperbezogene Übungen und Gespräche das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärken. »Sie sollen lernen, sich selber nicht so kritisch zu bewerten und sich nicht den Kopf zerbrechen, was andere über sie denken.« Besonders nachhaltig habe bei den Jugendlichen ein Film gewirkt, in dem zwei ganz gewöhnliche Teenies mit vielen Tricks zu Models gestylt werden. Dabei bekommt das Mädchen am Computer seine Zähne gerade gerückt, das linke Auge des Jungen ist nicht symmetrisch genug und wird nachgebessert.

»Das Programm soll künftig von uns unabhängig sein«, so Huss. Geplant sind ein Handbuch und ein Koffer mit Materialien, damit Lehrer die Übungen selbstständig in den Klassen machen können.

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