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Lackmus-Test für das Langzeit-Blutprofil

Morgen beginnt vor dem CAS die Berufungsverhandlung zu Claudia Pechsteins Dopingsperre

  • Jörg Mebus, SID
  • Lesedauer: 3 Min.

Rehabilitiert oder ruiniert: In der noblen Avenue de Beaumont in Lausanne geht es für die fünfmalige Olympiasiegerin Claudia Pechstein morgen um alles oder nichts. 111 Tage nach Bekanntgabe ihrer zweijährigen Dopingsperre durch den Eislauf-Weltverband ISU beginnt die Berufungsverhandlung vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS. Auf dem Spiel stehen ihr Ruf, ihre Karriere, ihr Beamtenstatus als Bundespolizistin und ihr Traum von den Winterspielen in Vancouver 2010.

Doch auch für die gesamte Sportwelt fällt das dreiköpfige Schiedsgericht womöglich die bedeutendste Entscheidung seit dem ersten Richterspruch der Institution vor 23 Jahren. IOC-Präsident Jacques Rogge bezeichnet den Fall als »Lackmus-Test, ob das Langzeitprofil von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde bestätigt wird«. Die zentralen Fragen neben der nach Pechsteins Schuld lauten: Dürfen künftig Sperren verhängt werden, ohne dass ein positiver Dopingtest vorliegt? Und wer trägt die Beweislast? Ankläger oder Angeklagter?

Claudia Pechstein musste sich zu Beginn der Woche mit profaneren Dingen befassen. Am Montag, so berichtet ihr Manager Ralf Grengel, standen ISU-Kontrolleure vor ihrer Tür und verlangten einen Dopingtest. »Scheinbar hält es die ISU selbst für möglich, dass Claudia schon bald wieder starten darf«, sagte Grengel. »Warum sollte der Verband sonst einen Test veranlassen?«

Unumstößliche Beweise, etwa den Nachweis einer Blutanomalie oder eine Krankheit, konnte Pechstein bislang nicht präsentieren. Auf jeden Fall wird sie die Schiedsrichter in Lausanne mit Hinweisen auf angebliche Verfahrensfehler, die der ISU im Zusammenhang mit der Handhabung ihrer Blutproben unterlaufen sein sollen, förmlich bombardieren.

Jene Details, die jüngst die Pechstein-Seite veröffentlichte, könnten die ISU in der Tat vor schwerwiegende Probleme stellen. Keine der vier bei der Verhandlung relevanten Blutproben Pechsteins sollen von der ISU korrekt protokolliert worden sein. Angeblich vorgeschriebene Kalibrierungsprotokolle der Messvorrichtung fehlten völlig, mit Ausnahme der Messung während der WM im Februar in Hamar, bei der aber ausgerechnet der Retikulozytenwert nicht mitgemessen wurde. Protokolle über Kontrollprobenmessungen legte die ISU angeblich gar nicht vor, vom Weltcup 2008 in Hamar soll sogar das Messprotokoll von Pechsteins Probe fehlen.

»Das Mindeste, was ich als Beschuldigte vom Weltverband erwarten darf, ist die Offenlegung aller Dokumente, die mich angeblich belasten«, ließ die 37-jährige Berlinerin am Dienstag über Grengel ausrichten: »Sollte es hier Lücken geben und die Sperre dadurch aufgehoben werden, wäre dies für mich keineswegs ein Freispruch zweiter Klasse«, so Pechstein, die neben zwei analytischen Gutachten auch sechs medizinische Expertisen beim CAS eingereicht hat.

Die Vorwürfe wollte Harm Kuipers, für den Fall verantwortlicher Mediziner beim CAS, nicht kommentieren. »Ich bin zuversichtlich«, sagte der ehemalige Eisschnellläufer. »Wenn man beweisen kann, dass ein Haus brennt, ohne dass ein Blitz eingeschlagen hat oder die Elektrik kaputt war, muss Brandstiftung vorliegen.«

Was wirft die ISU Pechstein vor?
Der Vorwurf lautet, Pechstein habe Blutdoping betrieben. »Abnormale« Retikulozytenwerte in Pechsteins Blut lieferten laut ISU den Beweis und rechtfertigten die Zweijahressperre. Der Weltverband stützt sich auf den seit Anfang des Jahres gültigen WADA-Code, der »jegliche verlässliche Mittel« als Beweis zulässt. Aus ISU-Sicht zählen dazu Pechsteins Blutwerte.

Wie argumentiert Pechstein?
Pechstein verweist darauf, dass sie in Hunderten Tests seit 2000 nie positiv getestet worden sei und dass ein einzelner Parameter (Retikulozytenwert) als Dopingbeweis nicht ausreiche. Zudem will sie vermeintliche Verfahrensfehler der ISU geltend machen. So sollen bei Blutproben Pechsteins elektronische Kennmarken fehlerhaft sein und zahlreiche Messprotokolle fehlen.

Welche Folgen hat das Urteil?
Verliert Pechstein, wäre klar, dass ein indirekter Dopingnachweis künftig zulässig ist. Dies könnte eine Flut von Sperren in vielen Sportarten nach sich ziehen und die Beweislast auf den Beschuldigten schieben. Gewinnt Pechstein nicht nur auf Verfahrensfehlern basierend, hätte das Urteil Präzedenzcharakter. Dies könnte das Aus für indirekte Dopingbeweise sein. ND

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