Farbenblinde gen-kuriert

Biolumne

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Vignette: Chow Ming
Vignette: Chow Ming

Die Aufregung über steigende oder sinkende rote, grüne, gelbe, schwarze und violette Farbbalken vor ein paar Wochen war auch bis zu den deutschen Wählern in Hongkong vorgedrungen. Aber ob jeder die Farben auf dem Monitor auch richtig wahrnahm? Immerhin sind neun bis zehn Prozent aller Männer rot-grün-farben- blind …

Für das Sehen sind spezielle Pigmente notwendig, die man Opsine nennt. Der Mensch hat ein Gen für das rotempfindliche und drei für das grünempfindliche Seh-Pigment. Sie liegen alle nahe beieinander auf dem 23. Chromosom. Kommt es nun an dieser Stelle zu Mutationen, kann sich das auf die Opsine und das normale Wachstum der Zäpfchenzellen im Auge auswirken. Eine auf diese Weise eingetretene Rot-Grün-Sehschwäche oder »Farbenblindheit« wird dann per Vererbung an die Nachkommen weitergegeben. Sie ist also angeboren und galt bisher als nicht änderbar.

Bei den Frauen betrifft dieses Übel interessanterweise lediglich 0,8 Prozent. Doch das ist leicht zu erklären: Das 23. Chromosom entscheidet beim Menschen über das Geschlecht. Frauen haben zwei X-Chromosomen, Männer nur eines sowie das ergänzende Y-Chromosom. Gibt es auf dem einen X einen Defekt, zieht die Natur bei den Frauen das zweite zum Abgleich zu Rate, und der Fehler kann meist ausgeglichen werden. Beim Mann fehlt mit dem zweiten X-Chromosom diese Korrekturmöglichkeit.

Bei Totenkopfäffchen (Saimiri sciureus) ist die Sache noch extremer: Die Männchen erkennen – anders als einige Weibchen – nur Gelb und Blau und können viele Rot- und Grüntöne nicht von Grau unterscheiden. Katherine Mancuso von der Universität Washington und ihre Kollegen konstruierten nun Adeno-Viren, die genau das Gen aufnehmen konnten, welches für die fehlenden Seh-Zäpfchen bei vielen rot-grün-blinden Menschen verantwortlich ist. Diese »Genfähren« injizierten sie den Tieren in die lichtempfindliche Schicht der Netzhaut. Nach 20 Wochen konnten die Affen langsam Rot- und Grüntöne voneinander unterscheiden. Ihre Zellen hatten also begonnen, den fehlenden Zäpfchentyp zu produzieren. Die neuen Informationen wurden auch vom Gehirn verarbeitet, als ob die Affen die Farben schon immer unterschieden hätten.

Auf gleiche Weise könnte künftig auch die Farbenblindheit beim Menschen geheilt werden. Bislang hielt man nur das Gehirn sehr junger Menschen für flexibel genug, um angeborene Sehstörungen durch Behandlung überwinden zu können. Die vorliegenden Ergebnisse zeigen jedoch, dass für das dreifarbige Sehen lediglich die richtigen Pigmente erforderlich sind. Das zeige das große Potenzial der Gentherapie zur Wiederherstellung nicht vorhandener oder verlorener Sehleistung.

Für die Betroffenen ist die Sehschwäche im allgemeinen nicht besonders hinderlich. Bei bestimmten Berufen wie Lokführer, Bus- und Taxifahrer, Piloten oder Polizisten wird korrektes Farbsehen allerdings vorausgesetzt.

Und bei Politikern? Hilft es wahlpolitisch weiter zu wissen, dass einerseits Rot (mit Varianten!) und Grün »biologisch organisch« miteinander verbunden sind, und andererseits manche Menschen Rot und Grün (leider!) nur als »graue Einheitssuppe« empfinden? Und nochmal gefragt: Warum sind Frauen seltener farbenblind als Männer? Wohl kaum wegen unserer schwarzen Kanzlerin ... Im Internet findet man dazu die lakonische Erklärung: weil meist sie den Einkauf erledigen müssen!

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