SPD akzeptiert Schöneburg

Generalstaatsanwalt: Debatte um Unrechtsstaat ist »eigentlich blödsinnig«

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Brandenburger SPD hat offensichtlich keine Einwände mehr gegen einen zukünftigen Justizminister Volkmar Schöneburg von der Linkspartei. Das ist das Ergebnis eines mehrstündigen Gesprächs, das Finanzminister Rainer Speer (SPD) am Samstag mit Schöneburg führte. Thema seien die kritisierten strafrechtswissenschaftlichen Publikationen des Juristen gewesen, sagte Speer.

Zunächst kursierte eine Meldung, wonach die SPD die Linke aufgefordert haben soll, Schöneburg zurückzuziehen. Die Vorsitzende der Linksfraktion, Kerstin Kaiser, dementierte das. Bei Schöneburg handele es sich um einen kompetenten Juristen, der vor seiner Wahl zum Verfassungsrichter durch den Landtag 2006 umfänglich geprüft worden sei, so Kaiser.

Dem 51-Jährigen wird vorgeworfen, in einem Aufsatz für eine Fachzeitschrift 2002 die DDR nicht als »Unrechtsstaat« eingestuft und die Todesschüsse an der Mauer verharmlost zu haben.

CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski sagte dem RBB-Fernsehnachrichtenmagazin »Brandenburg aktuell« am Samstagabend: »Schöneburg rechtfertigt das SED-Unrechtssystem. Von daher ist er als Justizminister in Brandenburg nicht geeignet – eine Zumutung und eine Schande für unser Land, wenn es so weit kommt.«

Unterstützung erhielt der Ministerkandidat vom Rechtshistoriker Uwe Wesel (Freie Universität Berlin), der mit Blick auf den genannten Beitrag von einem »sehr intelligenten Aufsatz« sprach. Tatsächlich seien die Mauerschützen-Prozesse »sehr problematisch« und der Begriff »Unrechtsstaat« untauglich für die DDR, sagte Wesel.

Die wieder aufgeflammte Debatte um die DDR-Bewertung als »Unrechtsstaat« nannte Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg »klassisch deutsch« und »eigentlich blödsinnig«. Dieser Streit sei mangels exakter Begrifflichkeiten und Definitionen überflüssig.

»Die DDR war zweifellos kein Rechtsstaat«, wie das Grundgesetz ihn definiere, sagte Rautenberg dazu. Sie deswegen automatisch zu einem Unrechtsstaat zu machen, sei aber deswegen nicht korrekt, »weil es eine Definition des Unrechtsstaates nicht gibt«.

Es sei jedenfalls nicht angängig, alle Staaten, welche die Rechtsstaatskriterien nicht erfüllen, deswegen in Bausch und Bogen zu Unrechtsstaaten zu erklären, gab Rautenberg zu bedenken. »Das müsste dann sehr viele Staaten betreffen.« Er verwies darauf, dass schon Anfang der 90er Jahre die Theologen Friedrich Schorlemmer und Richard Schröder den auf die DDR gemünzten Begriff Unrechtsstaat abgelehnt hätten.

Auf die Frage, ob es denn jemals eine allgemeingültige Definition des Unrechtsstaates geben werde, sagte der Spitzenjurist: »Das glaube ich nicht.« Denn was außerhalb des unmittelbaren Rechtsstaatsideals auf der Welt existiere, sei »ein riesiges Spektrum«.

Der Begriff des Rechtsstaates suggeriere, dass dortzulande nur Recht geschehe, während der auf die DDR bezogene Begriff Unrechtsstaat nahe lege, dass in der DDR nichts als Unrecht gewaltet habe, sagte Rautenberg. »Wenn das so gewesen wäre, dann hätte man nach 1990 sämtliche DDR-Strafurteile kassieren müssen.« Dies sei aber mit gutem Grund nicht geschehen. Vielmehr habe sich das auf vermutete oder erwiesene unmittelbare Rechtsverstöße beschränkt.

In dieser Debatte um den Begriff des Unrechtsstaates »sind wir seit der Wiedervereinigung keinen Schritt weiter gekommen, weil jeder darunter etwas anderes versteht«, schätzte der Generalstaatsanwalt ein. In »mehreren Intervallen« koche der Streit hoch, um dann regelmäßig »im totalen Chaos und Missverständnis zu enden«.

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