Lobbyisten gegen Klimaschutz

Forscher: Blick auf schnelle Rendite verhindert wirksame Maßnahmen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 4 Min.
Auf einem Klimakongress am Wochenende in Göttingen diskutierten Experten aus dem In- und Ausland über die politischen und sozialen Folgen der Klimaveränderung.

Politiker und Wissenschaftler sind skeptisch, dass bei den als wegweisend geltenden Klimaverhandlungen im Dezember in Kopenhagen ein Nachfolgeabkommen für das Kyotoprotokoll ausgehandelt werden kann. »Ich glaube nicht, dass in Kopenhagen der große Wurf gelingt«, sagte der Klimaforscher Prof. Mojib Latif von der Universität Kiel auf dem Göttinger Kongress. Er warf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein kollektives Versagen beim Klimaschutz vor. Alle Beteiligten wüssten, dass energische Maßnahmen gegen die Erderwärmung ergriffen werden müssten und dass diese Maßnahmen sich auf Dauer auch ökonomisch rechneten. Stattdessen herrsche ein kurzfristiges Denken vor: Unternehmen blicken auf die nächsten Quartalszahlen, Politiker auf die nächsten Wahlen.

»Das kurzfristige Denken produziert enorme Probleme und verschlechtert die Lebensbedingungen für die kommenden Generationen«, sagte Latif weiter. Es handele sich beim Klimaschutz nicht um ein Erkenntnis-, sondern um ein Umsetzungsproblem. Um einen Wandel im Denken herbeizuführen, müsse es mehr Anreize für alle Beteiligten geben. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an den US-Präsidenten Barack Obama sei als solcher Anreiz zu verstehen. Sie ermutige, mit dem Klima verbundene Probleme anzugehen.

Aus Sicht des Göttinger Physikers Jonas Norpoth ist ein entschlossener Kampf gegen den Klimawandel zwar aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll. Den Konzernen verhageln solche Maßnahmen aber kurzfristig die Bilanzen, sagte er. Norpoth verwies darauf, dass in Kopenhagen wie auch bei anderen Klimakonferenzen nicht nur Politiker aus verschiedenen Ländern verhandelten. Da ziehen Industrielobbyisten in Hundertschaften die Fäden.

Einem umfassenden Wechsel in der Energieversorgung stünden die Interessen vorrangig der Öl- und Energiemonopole im Wege. Gut vernetzt mit den Eliten des internationalen Finanzkapitals und politischen Entscheidungsträgern, hätten sich die Konzerne für den Kampf um ihre Geschäftsinteressen und die Zementierung des Status Quo gerüstet: Sie nehmen keine Rücksicht auf die verheerenden ökologischen und sozialen Folgen solcher Unternehmenspolitik.

Der Braunschweiger Chemieprofessor Rolf Bertram sagte, die technischen Lösungen für eine Umstellung der Energieversorgung auf Sonne, Wind und Wasser seien vorhanden. Die Potenziale sind so riesig, dass der Energiebedarf der Erde damit längst gedeckt werden könnte. Die großen Energiekonzerne aber verhindern den Umbau des Energiesystems. Sie setzen auf Gewinnmaximierung und scheren sich einen Teufel darum, dass unsere Lebensgrundlagen in den nächsten 20 bis 30 Jahren zerstört werden, sagte Bertram.

»Wenn nichts geschieht, werden wir im Jahr 2020 200 Millionen Flüchtlinge haben, die durch die Welt irren«, sagt Bertram voraus. Auch Maria Kontos vom Frankfurter Institut für Sozialforschung warnte bei dem Göttinger Kongress vor wachsenden Fluchtbewegungen infolge der Klimaveränderungen. Die absehbaren Naturkatastrophen vor allem in den Ländern des Südens vergrößerten dort die Armut und diese löse wiederum noch größere Fluchtbewegungen in Richtung Europa aus. Europa werde die Flüchtlinge abzuwehren versuchen und tue dies bereits jetzt, sagte Kontos weiter. Sie prognostiziert eine massive Militarisierung der Flüchtlingspolitik. Schon jetzt würden immer mehr Bootsflüchtlinge von Kriegsschiffen und Patrouillenbooten zurückgedrängt. Europa rüstet auf, um sich vor denjenigen zu schützen, die in Europa Schutz suchen, sagte die Wissenschaftlerin.


Klima & Atomkraft

  • AKW stoßen zwar nur geringe Mengen CO2 aus. Für den Uranabbau, die Urananreicherung, die Brennelemente-Produktion, die Atomtransporte und die Kühlung der Zwischenlager werden aber enorme Energiemengen benötigt und CO2 emittiert.
  • Für jeden investierten Euro sorgen gesteigerte Energieeffizienz und erneuerbare Energien für eine bis zu 11-mal höhere Reduzierung der Treibhausgase als Atomenergie.
  • AKW liefern nur 2,4 Prozent der weltweit verbrauchten Energie. Der Bau eines neuen AKW dauert zehn Jahre.
  • Je wärmer das Klima, desto mehr sinkt die Einsatzbereitschaft der Reaktoren: Ein Viertel der französischen AKW musste wegen der Hitzewelle im Sommer 2003 abgeschaltet werden.
  • Das Klima ändert sich, die Häufigkeit von Dürreperioden nimmt zu. Atomkraft benötigt aber für die Erzeugung einer Kilowattstunde Strom 25 000 Mal mehr Wasser als Wind- und Sonnenenergie. repa
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