Gordon Browns afghanischer Albtraum

Fast zwei Drittel der Briten fordern schnellstmöglichen Truppenabzug

  • Ian King, London
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Sonnabend starb ein britischer Soldat in der afghanischen Provinz Helmand, der 94. in diesem Jahr. Am Sonntag legte Premier Brown am Londoner »Cenotaph«-Denkmal einen Kranz zur Erinnerung an alle in britischen Kriegen Gefallenen nieder. Kurz danach gab es den 95. Toten. Fast zwei Drittel der Briten glauben laut einer BBC-Umfrage nicht mehr, dass der Krieg zu gewinnen sei und wünschen sich einen schnellstmöglichen Rückzug ihrer Truppen

Für Gordon Brown könnte Afghanistan sehr bald zu einer ähnlichen Katastrophe werden, wie es Irak für seinen Vorgänger Tony Blair war. Zwar hat der biedere Schotte nicht selber einen Aggressionskrieg angezettelt oder am laufenden Band gelogen wie der von Friedensfreunden verspottete »B-liar«. Aber Brown lässt den von USA-Militärs geführten Feldzug geduldig weitergehen, schickt Truppen in das hart umkämpfte Helmand-Tal gegen die Taliban. Insgesamt starben bisher 231 britische Soldaten, mehr als in Irak; die getöteten Taliban wie die unschuldig umgekommenen afghanischen Zivilisten bleiben ungezählt.

Die Quittung bekam der Premier in einer für die BBC-Sendung »The Politics Show« durchgeführten Umfrage. Offensichtlich schmilzt die Unterstützung für den Krieg in der britischen Bevölkerung wie Frühlingsschnee. 64 Prozent sind jetzt der Meinung, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen, 63 Prozent wollen alle Truppen baldestmöglich abziehen, 42 Prozent wissen nicht einmal, worum es in den Kämpfen überhaupt geht. Für die Armee besorgniserregende, für Brown und Verteidigungsminister Bob Ainsworth, die bis Mai 2010 das Urteil der Wähler erwarten, niederschmetternde Zahlen.

In einer Rede vor dem Institut für Verteidigungsstudien versuchte der Premier, den Feldzug in den Mohnfeldern des Helmand-Tals zu begründen. Die von Blair in diesem Zusammenhang vorgeschobene Drogenbekämpfung erwähnte Brown nicht. Sonst aber blieb kein Klischee ausgespart. Der Kampf gegen die Al-Qaida-Terroristen sei in Sangin leichter zu führen als in Surrey, man müsse der Krisenregion Stabilität bringen. Dabei fänden die Truppen wachsende Unterstützung bei den Einheimischen. Und überhaupt sei dieser Krieg von großer Bedeutung für den Weiterbestand der NATO.

Vieles davon bleibt umstritten. So hat der frühere Verteidigungsstaatssekretär Kim Howells jetzt gefordert, die Truppen sollten lieber heute als morgen nach England zurückkehren, man solle das dadurch eingesparte Geld für bessere Inlandsaufklärung über Terroristenherde in Britannien verwenden. Ehemalige hohe Militärs wie die Lords Guthrie, Boyce und Inge verlangten bessere Ausrüstung und klarere Einsatzbefehle für die Truppe, mahnten bei der Regierung lautstark Verstärkungen an. Dagegen forderte die Antikriegsbewegung »Stop the War!« den sofortigen Beginn des Truppenabzugs – Eltern von Gefallenen pflichteten bei.

Wo sich bei Brown neue Einsichten aufdrängen, zieht er daraus ungenügende Konsequenzen. Wer die Wahlfarce um den diskreditierten afghanischen Präsidenten Karzai mit Recht kritisiert, am Gescholtenen jedoch trotz einer Million gefälschter Wählerstimmen festhält, bringt sich als Vertreter der Demokratie um den letzten Rest seiner Glaubwürdigkeit. Eigentlich weiß Brown, dass die britischen Truppen keine 40 Jahre in der Wüste ausharren werden, will aber dem USA-Präsidenten nicht vorgreifen. So hält es der Premier mit Samuel Beckett: Endspiel oder Warten auf Obama. Das Theater des Absurden lässt grüßen.

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