nd-aktuell.de / 18.11.2009 / Politik / Seite 7

Gouverneur von Chiapas treibt Erschließung voran

Zapatisten wehren sich gegen »territoriale Neuordnung«

Luz Kerkeling
Die Großprojekte von Juan Sabines, Gouverneur des extrem armen südmexikanischen Bundesstaates Chiapas, erfreuen sich derzeit großer Aufmerksamkeit. Ein besonderes Prestigeobjekt sind die sogenannten nachhaltigen ländlichen Städte.

Die Absichten von Chiapas Gouverneur Juan Sabines hören sich gut an: Die »ciudades rurales sustentables«, die sogenannten nachhaltigen ländlichen Städte, sollen helfen, die Misere der Landbevölkerung zu überwinden, indem versprengt liegende Dörfer zu größeren Einheiten zusammengefasst werden. Die neuen Städte sollen Elektrizität, Trinkwasser, Gesundheitsstationen, Schulen, Sportplätze und vor allem Beschäftigungsmöglichkeiten für die neu angesiedelte Bevölkerung bieten. Doch aufgrund einer langen Tradition sozialer Kämpfe und des Aufstands der zapatistischen Befreiungsarmee EZLN stehen weite Teile der Landbevölkerung Regierungsprojekten äußerst skeptisch gegenüber. Die Regierung unternimmt daher regelrechte Propagandakampagnen.

Im September weihte Sabines die erste ländliche Stadt Nuevo Juan de Grijalva feierlich ein – mit seinem politischen Freund, Präsident Felipe Calderón von der rechts-konservativen Partei der Nationalen Aktion. Im Oktober wurden Botschafter von 65 Staaten in die neue Stadt gebracht, um gemeinsam mit UNO-Repräsentant Magdy Martínez dem neuen Projekt zu medialer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Anfang November sprach Sabines gar in der USA-Universität in Harvard über die angeblichen sozialen und ökologischen Vorzüge der neuen Zentren. Insgesamt sind mindestens 25 ländliche Städte für Chiapas geplant, das Modell soll gegebenenfalls auf ganz Mexiko ausgeweitet werden.

Das Konzept ist hoch umstritten. Die Finanzierung der ländlichen Städte erfolgt aus öffentlicher und privater Hand. Neben staatlichen Institutionen bringen sich internationale Unternehmen wie Nestlé und Bancomer, aber auch privatisierte Staatsbetriebe wie Telmex oder die mexikanische Apothekenkette Farmacias de Ahorro ein.

Nach Analysen der Politologin Mariela Zunino aus Chiapas geht es bei dem Projekt um »eine territoriale Neuordnung«. Gemeindeländereien sollen entvölkert und der Privatwirtschaft zur Verfügung gestellt werden. Die Territorien sind schon längst ins Visier der Viehzucht-, Palmöl-, Minen-, Agrarsprit-, Tourismus- und Bauunternehmen geraten. Arbeitskräfte für die agrarindustrielle Produktion und andere Bereiche finden die Unternehmen direkt in den neuen Städten. Zunino weist ferner darauf hin, dass es sich praktisch um privatisierte Städte handle, ein kleiner gespendeter Basketballplatz verschaffe Farmacias de Ahorro beispielsweise ein Monopol im Gesundheitssektor.

Eingebettet ist das Konzept der ländlichen Städte, das ursprünglich von der Weltbank angestoßen wurde, in das infrastrukturelle Großvorhaben »Proyecto Mesoamérica«. Dieses Nachfolgeprojekt des massiv kritisierten »Plans Puebla-Panamá« dient der intensiven Erschließung Südmexikos und Zentralamerikas für den Weltmarkt. Die ländlichen Städte sind daher ein integraler Bestandteil der neoliberalen Projekte, die unterschiedliche indigene und kleinbäuerliche, von Subsistenzwirtschaft geprägte Lebensweisen in Chiapas in ihrer Existenz bedrohen.

Interessant ist, dass die Regierung eine Katastrophe nutzte, um die Menschen zur Umsiedlung in die neue Modellgemeinde zu bewegen. Im Herbst 2007 gab es massive Überschwemmungen in Chiapas und Tabasco. Ganze Dörfer wurden von den Fluten mitgerissen. Ein Kleinbauer, der aus Angst um Anonymität bat, berichtete, dass die Menschen in Ostuacán in Notunterkünften konzentriert wurden und ihnen verboten wurde, auf ihre Ländereien zurückzukehren. »Jede Woche kamen Funktionäre und wir mussten Landtitel unterzeichnen, die wir nicht verstanden.« In der neuen Stadt leben heute über 4000 Personen, die aus elf verschiedenen Dörfern stammen.

Darüber hinaus dienen die ländlichen Städte auch der Aufstandsbekämpfung. Wie viele klassische Kolonialmächte nutzt die mexikanische Regierung die strategische Umsiedlung, um Widerstandsbewegungen zu schwächen und kontrollieren zu können. In Chiapas existieren über 14 000 Dörfer mit weniger als 100 Einwohnern. In mehreren Tausend Gemeinden gibt es Widerstandspotenzial, das den Eliten ein Dorn im Auge ist

Begleitet wird die Zwangsumstrukturierung der chiapanekischen Gesellschaft durch eine Zunahme von Repression gegen alle oppositionellen Gruppen, die sich Projekten wie Autobahnen oder neuen Hotels entgegenstellen.