Wir werden die Maus schon fledern

Johann Strauss' »Die Fledermaus« an der Deutschen Staatsoper Berlin

  • Irene Constantin
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach der grausig unlustigen Witwe im Eis der Arktis nun ein neuer Operettenversuch Unter den Linden. Wenn man nicht wüsste, dass letzthin ganz andere Summen verschleudert wurden, hätte man wieder einmal um Steuergelder gezittert.

Aber schon nach den knallenden Anfangstakten der Ouvertüre war klar: Diesmal wird's was. Die Ouvertüre ging weiter, als tanze man lächelnd auf einer schrägen und schwankenden Eisfläche Walzer. Eine Erleuchtung in Sachen Johann Strauss, mitunter klang es wie Brahms beim Tarockspiel. Undenkbar, dass dies dasselbe Stück war wie die Ouvertüre gleichen Namens, die man gewöhnlich am Neujahrsmorgen um die Ohren geschmettert bekommt. Zubin Mehta und die Berliner Staatskapelle haben die neue »Fledermaus« von Anfang bis Ende vor aller Unbill bewahrt, was heißt, die Eisfläche immer wieder poliert und ihre Schräglage verschärft.

Dort das Gleichgewicht zu behalten, das ist es, womit die handelnden Personen ununterbrochen beschäftigt sind. Meinen jedenfalls die Musik und Regisseur Christian Pade sowie Ausstatter Alexander Lintl weitgehend auch. Dass Herr von Eisenstein vorgestern an seinem Fahrrad gebastelt hat und Alfred, früher unwiderstehlicher tenore lirico spinto, jetzt ins Deutsche Heldenfach übergewechselt und nicht mehr ganz so unwiderstehlich, auf Rosalindes Induktionskochfeld ein Coque au vin vorbereitet, passt durchaus ins doppelbödige Bild. Rosalinde selbst ist eine voluminöse, jedoch bestens erhaltene Dame von knapp 50, ihr Eisenstein steckt auch schon tief im zweiten Frühling. Die »Perle« der beiden, Adele, von ihrer Schwester Ida unhöflich kreischend »Putze« tituliert, ist ein zartgliedriges, dabei sichtbar fitnessstudiogestähltes Wesen von einiger Staksigkeit – grandios antibesetzt mit der sonst so intellektuell kühlen Christine Schäfer.

In Rosalindes blitzblanker Küche also bereitet sich der folgende Budenzauber vor. Dort gibt es den Streit mit dem Advokaten Blind, der den aufbrausenden Eisenstein nicht vor einer kleinen Gefängnisstrafe bewahren konnte, dort greift sich Adele eine der feinen Einkaufstüten ihrer Herrschaft, um für den abendlichen Ball bei Orlofsky gerüstet zu sein, dort hält Alfred, Stephan Rügamer, Möhren, Lauchzwiebeln, eine Botoxspritze und seine schönen Tenortöne für die angebetete Rosalinde bereit, die ihm einst seinen Auftritt auf einem englischen Opernfestival mit dem obligaten Champagnerpicknick verschönte. Von dort aus startet Eisenstein Seite an Seite mit seinem mäßig guten Freund Dr. Falke statt in den Arrest zu einem herrlichen Fest, zu demselben natürlich, das auch Adele magisch anzieht, und von dort wird schließlich Alfred seinen Weg in die Arrestzelle 12 antreten, vom Gefängnisdirektor Frank höchstselbst abgeholt und für Eisenstein gehalten.

Soweit der mit modernisierten Dialogen witzig gespielte erste Akt.

Gesungen wurde, als ob es ums Leben ginge. Silvana Dussmann ist eine Luxusbesetzung der Rosalinde. Sie gräbt ihre Partie gleichsam um, sucht die Tiefe in der Seele der tüteligen Hausfrau und findet sie mit jedem Ton. Sie singt ihre unerfüllte Sehnsucht nach irgendetwas und bedeckt sie gleichzeitig sorgsam mit Ironie. Erkennbar wird sie sich erst machen, wenn sie als ungarische Gräfin eine Maske trägt. Solche Vielschichtigkeit ist dem Eisenstein nicht vergönnt; Martin Gantner bleibt wenig mehr, als nassforsch charmierend gut zu singen.

Der Ball, auf dem sich Prinz Orlofsky – Stella Grigorian die erst nach ihrem berühmten Auftrittslied richtig gut wurde – so herzlich langweilt, langweilte leider auch das Opernpublikum. Schuld daran war wer weiß wessen Ehrgeiz, eine sonst mit Recht gestrichene Ballettmusik in voller Länge zu spielen und zu choreografieren. Die schön schrägen Tänzer waren letztendlich die unschuldig Ausgebuhten.

Der Ball kam in Fahrt mit Rosalindes majestätischen, fast unheimlichen »Klängen der Heimat« als Gräfin und mit dem von Falke, Roman Trekel, groß-, fast bösartig angestimmtem »Brüderlein-und-Schwesterlein-Chor«. Kein alkoholdunstiges Duidu wurde da gesungen, sondern die spannungsgeladene Angst vor Demaskierung, Desillusionierung, Alltag, Frust.

Was ist eine »Fledermaus« ohne Frosch, und wenn der Frosch aus Berlin ist, ist er ein Proll. Dünnes Zottelhaar, schlotternde Trainingshose, der Klare neben der Glotze, unstopfbares Mundwerk, Michael Maertens. Aber sogar er täuscht, denn sein florierender Handel mit DDR-Devotionalien müsste ihm doch einigermaßen aus seiner prekären Lage hinaushelfen. Jedenfalls findet er Frankes Gefängnisdirektorgehalt mit Zwei Sieben netto doch nicht ganz so gewaltig. Von Christine Schäfers traumhaft gesungener und gespielter Unbegabung zur Schauspielerin abgesehen, spielte Maertens alle an die Wand und das Stück überraschend flott zu Ende.

Musikalisch und vokal exzellent, über weite Strecken witzig auf die Bühne gebracht und gut gespielt, kann man sich von dieser Fledermaus durchaus umgaukeln lassen.

Nächste Vorstellung: 25.11., 19.30 Uhr

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