Jobmaschine oder Familienfeind

Warten auf das Urteil der Verfassungsrichter zu Ladenöffnungen am Sonntag

  • Lukas Philippi, epd
  • Lesedauer: 3 Min.

»Hej Lukas, wäre es nicht herrlich, am ersten Adventssonntag auf Erkundungstour zu gehen?«, lässt das Möbelhaus IKEA per E-Mail anfragen und tut damit das, was in Berlin seit drei Jahren zumindest für die großen Kaufhäuser selbstverständlich geworden ist: es öffnet seine Türen an den Adventssonntagen. Am Dienstag will das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob das auch in Zukunft so bleibt.

Geklagt haben die evangelische und die katholische Kirche. Sie werfen dem rot-roten Senat eine Aushöhlung des Sonntagsschutzes vor. Mit ihrem Ladenöffnungsgesetz hat die Hauptstadt die weitestgehende Regelung aller Bundesländer. Noch mehr geht dank sogenannter Bäderregelungen nur in Tourismusregionen.

Die Berliner Geschäfte dürfen wochentags rund um die Uhr sowie an bis zu zehn Sonn- und Feiertagen zwischen 13 und 20 Uhr geöffnet sein. Darunter fallen ausdrücklich auch die vier Adventssonntage. Möglich wurde dies durch die Föderalismusreform. Die Gesetzgebungskompetenz wechselte vom Bund auf die Länder. Für den Berliner Einzelhandel habe sich die seit November 2006 geltende Liberalisierung der Schließzeiten bewährt, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen. Dabei verweist er auf einen Anstieg der Arbeitsverhältnisse um rund 1600 seit 2007, vier Fünftel davon sozialversicherungspflichtig. Bundesweit sind die Beschäftigtenzahlen laut Dienstleistungsgewerkschaft ver.di im Einzelhandel dagegen rückläufig.

Mindestens 700 der neuen Jobs in Berlin sind der Sonntagsöffnung zu verdanken, ist sich Busch-Petersen sicher. Der gewachsene Umsatz sei insbesondere den Touristen zu verdanken, die aus ihrer Heimat gewohnt sind, offene Läden vorzufinden.

Auf die Kritik der Gewerkschaften, die Ladenöffnungzeiten gingen zu Lasten der Beschäftigten und ihrer Familien, entgegnet der Vertreter des Handels: der Krankenstand habe sich nicht erhöht, mehr als die Hälfte der Beschäftigten habe an maximal zwei Sonntagen arbeiten müssen und ein Drittel an maximal fünf Sonntagen. Damit sei die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben und die Religionsausübung gesichert, betont Busch-Petersen, der sich selbst als regelmäßigen Kirchgänger bezeichnet. Für ihn sei der Berliner Weg »ein vernünftiger Kompromiss«.

Für die Gewerkschaft, die die Klage der Kirchen unterstützt, zielen die Argumente des Einzelhandels ins Leere. »Längere Öffnungszeiten helfen dem Handel nicht«, sagt Ulrich Dalibor von der ver.di-Bundeszentrale. Er verweist auf nahezu gleichbleibende Umsätze in den vergangenen 20 Jahren, stagnierende Unternehmensgewinne seit 2006 und niedrige Lebensmittelpreise. Längere Öffnungszeiten seien deshalb kein zusätzlicher Service für Kunden. Es gehe allein darum, »die Konkurrenz aus dem Feld zu schlagen«. Ver.di begleitet nicht nur die Gerichtsverfahren in Karlsruhe und vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, wo voraussichtlich Anfang kommenden Jahres über die sächsische Sonntagsöffnungs-Regelung entschieden werden soll.

Besonders betroffen von der familienunfreundlichen Sonntagsarbeit seien Frauen, die fast drei Viertel der Beschäftigten im Einzelhandel stellen, sagt Dalibor. Durch die meist auch auf ihren Schultern liegende Hausarbeit vor und nach Dienstschluss seien sie doppel belastet. Ver.di unterstützt deshalb zwei in Karlsruhe liegende Klagen gegen das niedersächsische Ladenschlussgesetz, die unter anderem den verfassungsrechtlichen Schutz der körperlichen Unversehrtheit und den Schutz von Ehe und Familien verletzt sehen.

Ob diese Klagen überhaupt zur Verhandlung kommen, wird sich am Dienstag herausstellen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung zum Berliner Ladenöffnungsgesetz bekannt gegeben haben wird. Als aufmerksame Zuhörer haben sich neben Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linkspartei) auch die Berliner Bischöfe Markus Dröge und Georg Kardinal Sterzinsky angekündigt. Auf das aktuelle Weihnachtsgeschäft wird die Karlsruher Entscheidung wohl keine Auswirkungen haben.

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