Keine Aufklärung, keine Verbindlichkeit

Retrospektive im Arsenal zeigt elegante Regie-Meisterwerke Michelangelo Antonionis

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.
Monica Vitti und Alain Delon in dem Film »L'Eclisse« (Liebe 62)
Monica Vitti und Alain Delon in dem Film »L'Eclisse« (Liebe 62)

»Wenn Sie mich fragen, was Regie bedeutet, fällt mir als Antwort nur ein: ›Ich weiß es nicht.‹« Diese Selbsteinschätzung Michelangelo Antonionis klingt für einen Filmemacher seines Renommees nach Koketterie. Auf den Lippen seiner Protagonistin Vittoria (Monica Vitti) in »L'eclisse« (Liebe 1962) gewinnt der zweite Teil des Zitats jedoch eine neue Dimension. Zum einen treibt dieses »Ich weiß nicht« ihren von Alain Delon gespielten Geliebten Piero zur Weißglut. Zum anderen verdeutlicht es, dass man von Antonionis Dialogen keine Aufklärung und keine Verbindlichkeit erwarten darf: Ein melancholischer Blick Monica Vittis verrät mehr über eine gescheiterte Liebe als alle Worte.

»L'eclisse« ist nur einer der Filme, die anlässlich der großen Antonioni-Retrospektive im Arsenal gezeigt werden. Fast das gesamte Oeuvre des im Jahre 2007 verstorbenen italienischen Regiemeisters ist dort (wieder) zu entdecken.

Und Antonionis Bilder bleiben haften. Sei es das Paar Vitti/Delon aus »L'éclisse«, zwei schöne Menschen, die durch eine Säule getrennt sind und auch emotional nicht zueinander finden. Doch nicht nur verschiedene Gesinnungen und Temperamente lassen bei Antonioni Beziehungen scheitern. Sein Hauptthema ist die Entfremdung: zwischen Liebenden, den Generationen, zwischen Individuum und Gesellschaft.

Ganze 20 Minuten brauchen etwa Marcello Mastroianni und Jeanne Moreau in »Die Nacht« (1961), um miteinander zu sprechen. Stadt und Natur übersetzen Verlorenheit und Sehnsucht der Figuren. Durch Gassen und Brachland des abendlichen Mailand irrt die Moreau und zieht dabei die begehrlichen Blicke fremder Männer auf sich, die ihr Filmgatte ihr verweigert.

In »L'avventura« (1960) ersetzt die Natur die fehlende Leidenschaft der Helden für einander. Auch lässt Antonioni seine Helden am Anfang oder Ende von Filmen einfach verschwinden und ersetzt sie durch filmische Metaphern.

Traditionelles Erzählkino ist Antonionis Sache nicht. Von den Regisseuren der Goldenen Ära des italienischen Kinos ist er der eleganteste, aber auch der distanzierteste. Sogar seine Orgie in »Die rote Wüste« (1964) ist unterkühlt – trotz der teils leuchtenden Farben.

In seinen angelsächsischen Werken fängt Antonioni meisterhaft das Zeitgefühl der aufkommenden Protest- und Studentenbewegung ein und ordnet sie doch seinen Hauptthemen unter. So frönt zwar der Fotograf in dem Meisterwerk »Blow Up« (1965) einem freizügigen Lebensstil, kann aber künstlerisch nichts Existenzielles bewirken. In »Beruf: Reporter« (1975) nimmt der von Jack Nicholson gespielte Journalist eine fremde Identität an und verliert sich dabei vollends selbst.

Neben Klassikern zeigt die Retrospektive auch Frühwerke wie »Die Dame ohne Kamelien«, ein dialoglastiger Diskurs über die Vergänglichkeit von Ruhm. Im dokumentarischen Kurzfilm »Tentato suicidio« (1953) zeigt Antonioni in nachgestellten Szenen und mit erstaunlich wertenden Kommentaren verhinderte Selbstmörder.

Dennoch ist Ironie Antonionis Filmen nicht fremd: Als in »Zabriskie Point« (1970) der rebellierende kalifornische Student Mark bei einer brutalen Verhaftung nach seinen Personalien gefragt wird, gibt er den Namen eines berühmten sozialistischen Philosophen an. Worauf der ahnungslose US-Beamte pflichtschuldig auf seinen Bogen tippt: Name: Marx, Vorname: Carl.

Bis 5.1., www.arsenal-berlin.de

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