In der Mitte festgefahren

In »4 nach 40« im Theater am Kurfürstendamm stecken die Charaktere in der Midlife-Crisis

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Fall im Fahrstuhl: Stephan Grossmann
Fall im Fahrstuhl: Stephan Grossmann

Ein Ruck. Das war's. Der Fahrstuhl steht kurz über der 40. Etage. Vier Menschen, die zunächst nicht mehr gemeinsam haben, als dass sie allesamt im 80-stöckigen Bürohochhaus nach oben wollen, sind im Lift zusammen eingesperrt. Aus solch einer technischen Panne erwächst die Geschichte in »4 nach 40« im Theater am Kurfürstendamm. Als sein bereits viertes Stück an diesem Haus brachte es Andreas Schmidt heraus, Premiere war am Wochenende. Die Zuschauer würden, verspricht die Ankündigung, Zeugen einer zwanghaft ablaufenden Gruppenselbsttherapie mit ungewissem Ausgang.

Therapiert wird zwar niemand, aber es kommt zu einigen Offenbarungen. Wenn man schon zusammen festhängt, kann man sich auch einander vorstellen. Der Versicherungsvertreter Gilbert Sedelmaier (Stephan Grossmann) vertritt natürlich gleich seine Versicherung. Der selbstmitleidige Lehrer Wolfgang A. Binder (Ingo Naujoks) nervt mit Gejammer. Die knallharte Geschäftsfrau Elvira Tempsky (Nina Hoger) lässt so viel Arroganz heraus, wie sie nur aufbieten kann. Nur die arbeitslose Petra Zech-Kralic (Claudia Geisler), die wohl vom ersten Eindruck her von allen am wenigsten auf dem Kasten und auf dem Konto hat, lässt es an Freundlichkeit nicht fehlen. Mit gegenseitigen Beschimpfungen und hysterischen Ausbrüchen bauen die Eingesperrten ihren Schreck ab und kommen ins Gespräch.

Bei jedem im Leben der vier gibt es eine andere große Misere. Eine Gemeinsamkeit haben sie jedoch. Sie sind alle gerade 40 Jahre alt geworden, fühlen sich aber jünger. Dennoch ist die Jugend dahin. Abschied ist ein scharfes Schwert. Auch wenn die Damen nicht ans Liften denken, müssen sie manches Fältchen wegschminken. Und die Herren schaffen es auch noch im Bedarfsfall, den kleinen Bauchansatz geschickt durch richtiges Atmen zu verbergen. Festgefahren in der Mitte des Lebens. Wie geht es wohl weiter? Rauf oder runter?

Das fragen sich die vier im Lift Zwangsvereinten – zu alt für die Band Tokio Hotel, zu jung für Roger Whittakers Schlager. Und sie fühlen sich gesellschaftlich nicht gut platziert als Mitglied einer – warum sie das auch immer so sehen – »verlorenen Generation«.

Möglicherweise finde sie sich im Altenheim zusammen mit ihren nur 20 Jahre älteren Erzeugern wieder, schüttelt es die Geschäftsfrau. Jeder erzählt ein bisschen über sich und denkt sich über die anderen sein Teil. Da wird kurz in die Hände geklatscht und das Licht verändert sich. Die anderen drei Schauspieler verharren. Zurück bei dem, was dann wieder für alle bestimmt ist, kommt es zu manchem witzigen Wortgefecht.

Soweit hat es Regisseur Schmidt gut gelöst. Damit in dem samt Pause zweistündigen Stück jeder einzeln noch etwas mehr über seine Befindlichkeiten loswerden kann, lässt er die Schauspieler jedoch singen. Das ist bis auf einen Country-Song keine gute Idee. Denn die übrigen Lieder sind – wenn man mal davon absieht, dass auch nicht jeder gute Schauspieler unbedingt ein guter Sänger ist – von der Komposition Erich Buchebners her kaum zu interpretieren. Zudem war die Akustik bei der Berliner Erstaufführung der Komödie von Fritz Schindlecker auch nicht ganz in Ordnung.

Das Ende des Stück ist ein bisschen weit hergeholt. Gesund wieder im Erdgeschoss angekommen, entfernen sich die Fahrstuhlfahrgäste paarweise. Da wird dann Petra Wolfgangs Geliebte, was die Probleme in seinem Leben als fremd gehender Ehemann noch anreichern dürfte. Elvira indes, gerade von ihrem Langzeitverlobten entlassen, sieht jetzt Gilbert als Vater ihrer künftigen Kinder. Aber insgesamt ist das Stück dank des an Komik reichen engagierten Spiels der vier Komödianten eine recht muntere Sache. Und zum Lachen ist die Komödie im Theater schließlich erdacht worden.

Bis 24.1., Theater am Kurfürstendamm, Kurfürstendamm 206, Karten-Tel.: 88 59 11 88, www.theater-am-kurfuerstendamm.de

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