Theater Eigenreich

Kalte Revolution

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 2 Min.

Bei »Feuerfangen. Prometheus« im Theater Eigenreich werden momentan innovativ Mythen ausgegraben. In einer weiten historischen Ausholbewegung wird die Titanenherrschaft des Chronos als festgefrorene, stagnierende Gesellschaft präsentiert, gegen die sich der dynamische, stets zum Höchsten strebende und damit kapitalistische Wachstumsverherrlichungen verkörpernde Zeus wendet.

Das ist eine bezaubernde Lesart. Denn aus dem Pakt der drei Rebellen Zeus, Prometheus (Mattes Herre) und Hera (Antje Lea Schmidt), die sich von der Befreiung von Chronos Glück, gegenseitige Fürsorge und faire Teilung der Macht versprechen, entsteht schnell eine neue, ihrerseits festgefahrene Herrschaft. Die Theatergruppe Fliegende Fische nimmt die Geburt des Hephaistos, des hinkenden Sohns der Hera und des Zeus, als Ausgangspunkt dieser Erkaltung der Revolution.

Kampf der Götter als Verfallsgeschichte

Die Scham angesichts des hässlichen Sprösslings und seine Verbannung aus dem heimischen Olymp, also die Aussortierung derer, die nicht stark und schön sind, markiert hier das Ende eines harmonisch-dynamischen Götterparadieses. Der titelgebende Prometheus, dessen mythischer Feuerdiebstahl nur am Rande eine Rolle spielt, fungiert in dieser Konstellation als der ewige Mahner an die eingangs gegebenen Versprechen.

Es ist eine Verfallsgeschichte, die die von Christiane Wiegand geleitete Truppe erzählt. Weil die sechs Schauspieler sich mit Verve in die Emotionen steigern – seien sie glücklich, verzweifelt, berauscht, ängstlich oder drohend – werden aus den Göttergestalten modern zerrissene Wesen. Ungewöhnlich erdig ist das Erscheinungsbild des Götterkollektivs. Eine Schicht Lehm klebt auf Gesichtern und Haaren. Sie mag der Überrest einer nicht vollkommenen Ausgrabung der Figuren sein. Das Material erinnert aber auch an nachgemachte Menschen wie den Golem oder Adam.

Die Kompanie praktiziert ein Bewegungstheater, das stets auf der Suche nach den Mechanismen der Welt ist. Dieser Doppelcharakter aus ungebremster spielerischer Lust und permanenten intellektuell-emotionalen Suchbewegungen macht das vornehmlich aus jungen Absolventen der Ernst Busch-Hochschule gebildete Ensemble wahrlich einzigartig.

Bis 20.12., 20.30, Theater Eigenreich, Greifswalder Str. 212/213

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