Um sieben Uhr morgens auf das Schlachtfeld

US-Armee betreibt Kriegsspiele mit zivilen Statisten auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels

  • Karl-Wilhelm Götte
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Was sich in Anzeigen als Kleindarstellerwerbung einer Filmfirma präsentiert, erweist sich für Interessenten als halber Ernstfall. Die US-Army braucht Komparsen zum Üben. Und bekommt sie.

Statisten, 18 bis 65 Jahre, gesucht«, lockt eine kleine Zeitungsanzeige: »92 Euro pro Tag und freie Unterkunft und Verpflegung.« Gut geschminkte Frauen und weniger hübsch gemachte Männer aller Altersklassen reihten sich in die Warteschlange in einem noblen Hotel am Münchner Hauptbahnhof ein. »Wo geht's zum Film?«, war den Gesichtern abzulesen. Doch was sich in der Anzeige nach gut bezahlter Komparsenrolle beim Kino anhörte, entpuppte sich als ungewöhnliche Überraschung. »COB« lautete die Zauberformel. »Civilians on the battlefield« (Zivilisten auf dem Gefechtsfeld) werden gesucht. »Die Statisten werden benötigt, um eine möglichst realitätsnahe Umgebung für die Manöver der NATO/KFOR Truppen zu ermöglichen«, steht auf der im Hotel ausliegenden Information einer Firma Optronic aus Königsbrunn. Einige Interessenten schauen sich erstaunt an und schmunzeln. Trotzdem bleiben viele und nehmen die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch an. Dafür gilt es einen »Bewerbungs-Fragebogen-COB« mit Angaben über Schulausbildung, Beruf und Fremdsprachenkenntnisse auszufüllen. Die Personalausweise der Interessenten werden eingesammelt und später Passfotos gemacht. »Seit dem 11.September müssen wir das tun«, erklärte die freundliche junge Frau beim Informationsgespräch. Die Rekrutierung von 50 bis 100 Zivilisten für das US-Kriegsspiel auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels an der A6 zwischen Nürnberg und Regensburg findet an diesem Wochenende nicht nur in München, sondern auch in Augsburg, Regensburg und Nürnberg statt. Die auserwählten Statisten kommen seit dem 13.April einen Monat lang zum Einsatz. »Die US-Armee will lernen zwischen Bevölkerung und Feind zu unterscheiden«, sagt die Optronic-Beschäftigte. »Dadurch sollen Verluste unter der Zivilbevölkerung vermieden werden.« Die COBs sollen »kleine Statistenrollen, wie zum Beispiel einen Bürgermeister eines Dorfes im Kosovo, spielen«, so der Personalbeschaffer. Von Zeit zu Zeit muss dann dieser Bürgermeister mit den Commanders der US-Soldaten verhandeln. Glaubwürdige Rollenspiele werden auch von den anderen Teilnehmern verlangt. Über das Rollenspielprogramm entscheiden die »ProCOBs«, die Zivilangestellten der US-Armee. »Alle Manöver in Hohenfels werden ausschließlich mit ungefährlichen Attrappen und Platzpatronen durchgeführt«, verspricht die Firma Optronic. Die Kriegsspiel-Zivilisten werden jedoch mit Infrarot-Detektoren ausgestattet. Optronic: »Die Soldaten haben Sender auf ihren Gewehren, so dass fest gestellt werden kann, ob bei entsprechenden Einsätzen Zivilisten zu Schaden gekommen wären.« Die Unterbringung erfolgt in Stockbetten, in Baracken zu 30 Personen. Der Tagesablauf ist sehr gewöhnungsbedürftig. Aufstehen um fünf Uhr, Frühstück um sechs, eine Stunde später auf das Schlachtfeld. Dort heißt es dann bis 17 Uhr, also zehn Stunden lang, durchgehend den COB spielen. Gegessen wird in der Kantine oder in der Feldküche. Ist voller Tageseinsatz vorgesehen, gibt es ein Lunchpaket. Abgerechnet wird korrekt über Lohnsteuerkarte. Sozialversicherungsbeiträge sind ebenso abzuführen. »Da bleiben mir ja nur 1900 Euro netto«, stöhnt ein Interessent aus Österreich. Die Angeheuerten sind meistens Studenten, aber auch Hausfrauen, die einen Nebenverdienst suchen, oder Menschen jeden Alters, die gerade knapp bei Kasse sind. Damit alles möglichst echt ist, »sind auch Albaner dabei«, sagt die Pressesprecherin im US-Hauptquartier in Heidelberg. Die Beschäftigungsverträge gelten jeweils für einen Zeitraum von sieben bis maximal 21 Tagen. »In der Regel werden sie für den darauf folgenden Zeitraum verlängert«, schreibt Optronic. Geübt wird täglich. Scheidet jemand früher aus, gibt es einen Strafabzug von zehn Euro pro Tag. Der »Supervisor« der Firma kümmert sich vor Ort um die Verträge, aber auch um »alle Fragen, die private Angelegenheiten betreffen.« Ein Verlassen des Kasernengeländes ist während der gesamten Einsatzzeit vertraglich ausgeschlossen. Es sei denn, man muss dringend zum Arzt. Optronic betreibt das Geschäft der »Personaldienstleistung« nach eigener Aussage seit 1999 und nur für die US-Armee. Man suche »ständig Statisten«, heißt es auf der Internet-Seite des Unternehmens. »Mehr als 1500 Kurzzeitbeschäftigte wurden seitdem für Manöver angestellt«, wirbt das Unternehmen für sich. Dort zeigen Bilder, wie ein US-Hubschrauber Deckung für einen zivilen Bus gibt. »Wie es im Kosovo oder anderen Krisengebieten tagtäglich vorkommt«, so Optronic. Das Interesse scheint groß. »Die Plätze für unsere nächste Veranstaltung vom 13. 04. 2002 bis zum 12. 05. 2002 sind bereits alle vergeben. Falls Sie sich bereits beworben haben, warten Sie bitte eine Zusage ab«, vertröstet Optronic erwartungsvolle Interessenten neben einem Foto, das eine Hochzeitsgesellschaft auf dem »battlefield« zeigt. Dem Verteidigungsministerium in Berlin ist von diesem US-Manöver nichts bekannt. Ein Sprecher bestätigte jedoch, dass die Bundeswehr vor ihren Auslandseinsätzen in Hammelburg ähnliche Szenarien einübt. Allerdings mit Soldaten, die die Zivilisten spielen. Wiede...

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