Zum Kampfeinsatz ermächtigt

  • Norman Paech
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn der Untersuchungsausschuss im Januar seine Arbeit aufnimmt, muss er sich hüten, an einer Nebenfrage hängen zu bleiben und die Hauptfrage in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn die Informationspolitik einer notorisch undurchsichtigen Regierung ist absolut nebensächlich gegenüber der Frage, was die Bundeswehr in Afghanistan eigentlich treibt und was sie dort treiben darf.

Nach acht Jahren hat das Verteidigungsministerium endlich die Situation in Afghanistan realitätsnäher als »kriegsähnlich« bezeichnet. Jetzt hat sie aber auch den jahrelang angehäuften Propagandamüll aufzuräumen, mit dem sie die Arbeit der Soldaten als brunnenbauende und Mädchen schützende Truppe beschönigte. Das Massaker bei den beiden Tanklastwagen hat nun auch der deutschen Bevölkerung die Augen über den wahren Charakter des Krieges am Hindukusch geöffnet. Ähnliche Katastrophen hat es schon im Süden, Westen und Osten des Landes durch die US-Amerikaner und die NATO-Truppen gegeben – und es wird weitere geben. »Kunduz« ist keine isolierte Panne des unglückseligen Oberst Klein, sondern ein notwendig sich wiederholendes Wesensmerkmal dieses Krieges, den man technokratisch verharmlosend »asymmetrisch« nennt. Man soll nicht so tun, als wenn Vietnam schon vergessen wäre.

Dieser Krieg ist mit der Ausdehnung auf Pakistan und der immer stärkeren Beteiligung ausländischer Kämpfer auf beiden Seiten schon lange zu einem internationalen bewaffneten Konflikt geworden. Als der UNO-Sicherheitsrat im Dezember 2001 die ISAF schuf, übertrug er ihr die Aufgabe, Afghanistan bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit zu unterstützen und ein sicheres Umfeld für den Wiederaufbau und die humanitären Aufgaben zu schaffen. Er hat dazu die ISAF autorisiert, »alle erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt zu ergreifen«. Das ist die klassische Ermächtigung zum Kampfeinsatz, der über die Verteidigung hinausgeht und Angriff wie gezielte Tötungen umfasst. Der Bundestag hätte dieses Mandat einschränken und auf Verteidigungsmaßnahmen begrenzen können, was er jedoch nicht getan hat. Die LINKE hat den Einsatz deshalb als einzige Fraktion immer abgelehnt.

Die UNO-Resolutionen wollten die Realisierung des Petersberg-Abkommen absichern. Deren demokratische und völkerrechtliche Mängel sind wiederholt zu Recht gerügt worden. Das entzieht den Resolutionen allerdings nicht ihre juristische Wirksamkeit, um die Kampfeinsätze im Süden grundsätzlich zu legitimieren – aber nur in den Grenzen des humanitären Völkerrechts. Und da liegt das Problem. Denn dieser Angriff war, wem immer er auch gegolten haben mag, offensichtlich unverhältnismäßig, betrachtet man die zivilen Opfer, die er gekostet hat. Die NATO spricht von vier Taliban-Führern und bis zu 142 Toten – hat sie nach fast vier Monaten immer noch keine genaueren Zahlen? Der afghanische Anwalt hat schon 78 Mandate ziviler Opfer und spricht von insgesamt 159 Toten und 20 Verletzten. In jedem Fall liegt hier ein schwerer Verstoß gegen das völkerrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit vor.

Einer Wiederholung derartiger Katastrophen kann man weder durch Taschenkarten, striktere Einsatzregeln oder neue Resolutionen entgehen, sondern nur durch die realistische Erkenntnis, dass sie sich immer wiederholen werden, es sei denn, man verlässt das Schlachtfeld – aus humanitären Gründen und weil dieser Krieg nicht zu gewinnen ist.

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