Auf der Bühne im Knast

Kiala und Ullmann spielten drei Jahre lang Theater im Gefängnis. Einer probt nun »draußen«, der andere sitzt noch immer

Para N. Kiala in seiner Rolle während einer Inszenierung an der Schaubühne.
Para N. Kiala in seiner Rolle während einer Inszenierung an der Schaubühne.

Para N. Kialas reibende Stimme sticht aus dem Chor heraus. Sein Deutsch hat einen leichten Lingála-Akzent, der hierzulande ungeläufig ist. Mit anderen Schauspielern steht der Kongolese inmitten der Zuschauer und geht in seiner Rolle auf. Im Chor schildert der 37-Jährige Straftaten, für die er und die anderen Darsteller im Gefängnis saßen. Auf der Bühne verknüpfen sie ihre eigene Geschichte mit der von Franz Biberkopf, jenem entlassenen Häftling aus Alfred Döblins »Berlin Alexanderplatz«.

Der Regisseur Volker Lösch inszeniert den Roman an der Schaubühne Berlin. An diesem Theater arbeitete auch Volker Ullmann fünf Jahre als Tischler. Kein schlechter Job, meint er. Aber als Meister wollte er mehr und gründete einen eigenen Betrieb. Anfangs ging es steil bergauf. Wenn Ullmann die Überschläge der Umsätze vorrechnet, landet er im sechsstelligen Bereich. Doch dann stürzte er heftig ab.

Der lange Schatten des Gefängnisses

Heute sitzt Ullmann im Gefängnis in Berlin-Tegel, in der sozialtherapeutischen Anstalt, einem Erweiterungsbau von 1970. Sein Haftraum hat die Nummer 199. Seine Firma ging pleite, und wie Franz Biberkopf in Döblins Roman seine Geliebte Ida im Streit umbringt, so erschlug der Handwerker seine Ex-Frau Kerstin. Nach der Tat ging er zur Polizei; später wollte er sich selbst richten. Seine Mutter bat ihn, sein Leben nicht wegzuwerfen. Zaghaft fasste er neuen Mut. Ullmann wurde verurteilt; seit November 2000 verbüßt der heute 45-Jährige eine lebenslängliche Haftstrafe, aus der er bestenfalls nach 15 Jahren entlassen wird.

Para N. Kiala und Volker Ullmann kennen sich. Nicht aus einer flüchtigen Bekanntschaft zwischen Schauspieler und Requisitenbauer, sondern beide standen drei Jahre lang gemeinsam in der Justizvollzugsanstalt Tegel auf der Bühne. Die Theatergruppe »aufBruch« führt einmal im Jahr in dem Gefängnishof mit Häftlingen eine Inszenierung auf, und weil Kiala in Tegel eine Haftstrafe wegen Betrugs absaß, spielte auch er mit. Volker Ullmann fragte bei der Theatergruppe, ob sie einen Tischler hinter den Kulissen bräuchten. Doch der Regisseur Peter Atanassow fand im Ensemble Verwendung für ihn. Die beiden Männer schlossen Freundschaft. Als Para N. Kiala entlassen wurde, gingen ihre Wege auseinander. Er hat Ullmann zurückgelassen – »draußen in Tegel«, wie Franz Biberkopf auf der Bühne ruft –, was gleichbedeutend ist mit draußen aus der Gesellschaft. Im Sommer kehrte Kiala noch einmal ins Gefängnis zurück und sah sich eine »aufBruch«-Inszenierung von Heiner Müllers »Wolokalamsker Chaussee« an. Wenn der stoische Ullmann erzählt, wie Kiala ihm nach der Aufführung um den Hals fiel, kann man sich vorstellen, wie die unterschiedlichen Temperamente aufeinandertrafen.

Nun scheint es, als wäre Kiala seinem Freund Ullmann um Jahre entrückt, und dennoch ist der Schatten des Gefängnisses manchmal lang; das hat er erfahren müssen. Er wird immer wieder auf seine Haftzeit angesprochen, die immerhin schon 17 Monate zurückliegt. Aber Para N. Kiala strauchelt nicht wie Franz Biberkopf in der Großstadt mit ihren Verlockungen aus der Halbwelt, er will im neuen Jahr nach vorne blicken. Bei seinem Neuanfang nach seiner Entlassung hatte er Glück, dass er eine Anstellung in einer Hühnerfabrik bei Leipzig fand.

In zwei Schichten arbeitet er und zerteilt Hähnchen. Das ist zwar kein Traumjob, aber er ist dennoch froh darüber, für sich und für seine fünfjährige Tochter sorgen zu können. Was ebenso wichtig ist: »Die Arbeit gibt mir das Gefühl, hier in der Gesellschaft dazuzugehören«, meint er. Auch das Theaterspielen hilft ihm, wieder Fuß zu fassen. Nach der Frühschicht nahm er anfangs den Zug nach Berlin zum Proben. Nun aber hat ihn sein Chef für die Zeit der Inszenierung freigestellt.

Volker Ullmann ist im Knast geduldig geworden. Es ist schon der zehnte Jahreswechsel hinter Gittern, und die Zeit hat für ihn eine andere Geschwindigkeit bekommen. Früher mochte er die Silvesterpartys. Davon geblieben ist ihm einzig eine Zigarre, die er sich kurz vor Mitternacht ansteckt. Der Rauch aber kann die Schwermut nicht vertreiben, die ihn jedes Mal einholt. Wenn Ullmann um 23 Uhr eingeschlossen wird, dann sitzt Para N. Kiala bei seiner Familie, und später wird er in den Trubel der Stadt eintauchen.

Der Kongolese wollte immer Schauspieler werden und war schon einmal in Kinshasa an einer Theaterschule eingeschrieben. Das war kurz bevor er vor dem Mobutu-Regime nach Deutschland flüchtete. Jetzt, 13 Jahre später, spricht er die Sprache, hat einen Job und seine Tochter wächst bei seiner Freundin in Berlin auf. Kiala ist integriert – und doch nur geduldet. Alle sechs Monate wird über seine Abschiebung neu entschieden. Dann wird er jedes Mal mit seinem Makel konfrontiert: Jene vier Jahre und acht Monate, die er in Tegel gesessen hat.

Irgendwann soll auch Volker Ullmann als verurteilter Mörder wieder ein Leben in Freiheit führen. Deshalb wird sein Strafvollzug sozialtherapeutisch begleitet. In den Sitzungen wird hinterfragt, warum es zu dem Gewaltexzess gegen seine frühere Ehefrau kommen konnte – schließlich hatte er Ideale gehabt und war eigentlich ein friedliebender Familienvater, der Spaziergänge mit dem Hund und seiner Tochter genossen hat. Aber anstatt die auftretenden Konflikte zu lösen, fraß er fatalerweise allen Ärger in sich hinein. Ullmann glich schon lange einem Pulverfass und es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er durchknallen würde, sagte ihm der Therapeut. Jetzt arbeitet er daran, dass seine Sicherungen künftig funktionieren.

Die schönste Zeit im Jahr

Während der Theaterproben zu dem Stück »Wolokalamsker Chaussee« hat er sich mit einem Mithäftling aus dem Ensemble gestritten. »Das war ein heftiger Wortwechsel«, erzählt er, so dass der Regisseur Peter Atanassow dazwischengehen musste. »Aber am Abend in der Zelle spürte ich, dass der Ärger verflogen war.« Für Volker Ullmann, der früher Auseinandersetzungen stets aus dem Weg ging, war das ein Meilenstein.

Im April hat er eine Vollzugsplankonferenz, bis dahin wird er schon 25 bis 30 Sitzungen absolviert haben und kann auf erste Haftlockerungen hoffen. Im Frühjahr beginnen auch die Proben für die neue Aufführung »Michael Kohlhaas« von Heinrich von Kleist. Dann arbeitet das Ensemble erneut akribisch, um im Juni im Innenhof das Stück aufzuführen. Das ist eine außergewöhnliche Gemeinschaft in Deutschlands größtem Gefängnis. Für Volker Ullmann ist es die schönste Zeit im Jahr.

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