Höllisches Paradies

Rafael Chirbes geißelt die Zerstörung der Costa Blanca

  • Uwe Stolzmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Er ist der Pathologe einer deformierten Gesellschaft, ein Beobachter ohne Gnade: Rafael Chirbes, Jahrgang 1949. Das dreifache Trauma des modernen Spanien wurde für ihn zur literarischen Obsession – erst Bürgerkrieg und Faschismus, dann die halbherzige »Vergangenheitsbewältigung«. Der Erzähler durchstreift, in immer neuen Anläufen, ein von Gespenstern bewohntes Labyrinth, in dessen Zentrum ein Untoter kauert – General Franco, gestorben 1975.

In seinen Romanen »Der lange Marsch« und »Der Fall von Madrid« bewegte sich Chirbes durch die spanische Nachkriegszeit; mit »Alte Freunde« landete er vor wenigen Jahren im Hier und Jetzt. Das jüngste Buch erforscht Verwerfungen in seiner engeren Heimat, all jene Schäden an Natur und Gesellschaft, die zurückverweisen auf die bleierne Zeit der Diktatur.

Costa Blanca heißt die Region. (Eine »Weiße Küste«, die fast erstickt in rötlichem Sand, Sand auf dem Asphalt, auf den Gehsteigen, an Zäunen und Gittern, und hinter den Gittern üppige Vegetation, beständig von Dürre bedroht: Oleander, Orangen und Zitronen, Lorbeer, Hibiskus, Eukalyptus.) Und so spiegelt der Autor das höllische Urlaubsparadies im neuen Roman: »Das Meer blitzt in der Sonne, die ein Laken aus flüssigem Stahl über das Wasser zieht, der heiße Dunst läßt alles verschwimmen, als sei die Landschaft eine einzige zähe Masse. Die Autos reflektieren diesen metallischen Glanz auf ihren Karosserien. Die Windschutzscheiben blitzen, die Seitenfenster, die Rückspiegel, der Glanz eines weißen Feuers, weiße Funken, weißglühender Stahl, Blitze eines trockenen Gewitters. Die Backofenglut und der Stau.«

Hitze, Feuer, Funken, Glut – »Krematorium« heißt das Buch. Hauptfigur ist Rubén Bertomeu, ein Immobilienhai mit mafiosen Zügen und einer nostalgischen Neigung für die Linken. Einer jener Baulöwen, die Spaniens Küste verschandelten. Der Mann ist nicht einmal unsympathisch: wortgewandt und zynisch-pragmatisch. Was könne er dafür, sagt er, dass halb Europa sich die Mittelmeerküste für den Urlaub und die Rentnerjahre ausgesucht habe. »Das nennen die Klassiker der Ökonomie primitive Kapitalakkumulation, das Land mußte eine neue Klasse herausbilden und wußte nicht, wie.« Er erreicht, was immer er sich vornimmt: Ackerland wird, sobald er kaufen will, über Nacht zu Bauland. Mag er höher bauen als genehmigt, hat er am nächsten Tag die Genehmigung. Ein unerlaubtes Penthouse? Die Behörden sehen darüber hinweg. Das Rezept dafür ist einfach: »Man muß Geld ins Spiel bringen, wieder einmal das Köfferchen, die Plastiktüte, eine normale Tasche, ein großes Herrentäschchen oder eine Sporttasche, von der Sorte, die Maurer für ihre Arbeitskleidung benutzen.«

Der Roman beginnt mit einer Todesnachricht: Matías ist gestorben, der jüngere Bruder des Unternehmers. Matías, der ein militanter Linker war, ein autoritärer Stalinist. Nach Francos Tod, wurde er Ökobauer – als wollte er die Genossen von einst genauso verspotten wie den skrupellosen Bruder. An einem einzigen Vormittag spielt der Roman, in den Stunden vor Matías' Einäscherung. Bruder Rubén: »Ich sehe dich an irgendeinem Ort liegen. Ich weiß nicht wo. Aber auf dieser dünnen Metallplatte, auf dem Laken, auf der kalten Marmortafel, unter dem klimatisierten Luftstrom. Ehrlich gesagt, ich sehe dich nicht gerne so.«

Es gibt keine Handlung im Buch, nur Standbilder: Rubén im Stau, andere Figuren vor einem Spiegel oder in verschatteten Räumen. Statt »Action« präsentiert der Autor einen Chor aus Solostimmen, pro Kapitel eine Figur. Die Monologe – so kennen wir es von Chirbes – fügen sich zu einem beklemmenden Gruppenbild, einem Abbild der neuen Gesellschaft. Rubén, der Hai, sinniert: »Die Arbeiterklasse ist keine handelnde Figur mehr, auch nicht Subjekt der Geschichte. Sie ist nicht mehr. Sie ist tot. Im Übrigen hat es hier in der Gegend eher wenige Arbeiter gegeben, der Übergang vom elenden Kleinstbauern zum Kleinunternehmer ging einfach zu schnell.«

Einige Figuren – Verwandte, Bekannte – distanzieren sich von der Sittenlosigkeit des Baulöwen. Tochter Silvia etwa, eine Kunsthistorikerin. Wenn der Vater über Menschenmassen und gellende Musik klagt, zischt die Tochter: »Nur kein Dünkel, das sind deine Kunden.« Doch Widerstand erschöpft sich in Widerrede, auch Silvia lebt von Rubéns Reichtum. – Auf dem Schutzumschlag der deutschen Ausgabe sieht man einen Plattenbau am sonnenheißen Strand, eine Hotelburg – Metapher für den jungen wilden Kapitalismus. In dieser Art Ofen – so hat Chirbes den Titel wohl gemeint –, in diesem Krematorium verbrennen die Werte der Vergangenheit.

Rafael Chirbes: Krematorium. Roman. Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz. Verlag Antje Kunstmann. 428 S., geb., 22 €.

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