nd-aktuell.de / 21.01.2010 / Politik / Seite 6

»Angesagter Betrug«

Aus der Rede Gregor Gysis zum Haushalt

... Frau Bundeskanzlerin, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass wir in einer der schwersten Krisen seit 1931/32 leben. Die Exporte sind eingebrochen. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung in Höhe von 5 Prozent ist gigantisch. Das hatten wir noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland.

Nun analysieren wir einmal, was mit der Beschäftigung in den Jahren zuvor und jetzt passiert ist. Es handelt sich leider um ein Gemeinschaftswerk von SPD, Grünen und Union sowie nun langsam auch von der FDP ... Es wird immer über Arbeitslose gesprochen und nicht über die Realitäten. Die Zahl der Vollzeitbeschäftigten hat von 1999 bis 2008 um 1,4 Millionen abgenommen. Es sind also nicht etwa mehr geworden, sondern es sind 1,4 Millionen weniger geworden. Die Zahl der Teilzeitbeschäftigten hat in der gleichen Zeit um 1,3 Millionen zugenommen. Sie liegt nun bei 5 Millionen. Die Zahl der Minijobs hat in der gleichen Zeit um 2,5 Millionen zugenommen. Sie liegt jetzt bei 7,1 Millionen. Die Zahl der Mehrfachbeschäftigungen hat sich verdoppelt. Die Zahl der befristeten Beschäftigungsverhältnisse ist um 50 Prozent gestiegen. Ein Viertel aller abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeitet im Niedriglohnsektor. Das ist prozentual der größte Anteil im Vergleich zu allen anderen Industrieländern. Wir haben selbst die USA diesbezüglich überholt. Ich sage Ihnen: Das Ganze ist ein Skandal ...

Die OECD, keine linke Organisation, hat jetzt festgestellt, dass die Spaltung zwischen Vollbeschäftigten und prekär Beschäftigten nirgendwo so tief ist wie hier in Deutschland. Was wir dringend brauchen, das verweigert Ihre Koalition, ist ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn ...

Aber zurück zum Spendenthema von gestern. Herr Westerwelle, 1,1 Millionen Euro von Baron von Finck von Mövenpick im Zusammenhang mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz bei Hotels, das werden Sie nicht los. Zudem gab es 820 000 Euro für die CSU.

Nun sagen Sie zu Recht: Auch andere Parteien kriegen Spenden. Die Allianz ist ein tolles Beispiel. Die Riester-Rente wurde eingeführt. Seitdem bekommen CDU, CSU, FDP, SPD und Grüne jährlich je 60 000 Euro von der Allianz ...

Die Politik gerät doch immer stärker in den Ruf, korrupt zu sein, käuflich zu sein. Wenn wir das nicht wollen, dann lassen Sie uns doch gemeinsam eine Verständigung darüber herbeiführen, dass Spenden von größeren Unternehmen, von Versicherungen, von Banken und von Wirtschaftsverbänden an die Parteien verboten sind ...

Sie sagen, was Sie vorhaben, könnten Sie leider erst nach der Steuerschätzung im Mai 2010 erklären. Für wie doof halten Sie denn die Leute? Die merken doch alle, dass Sie ihnen erst nach der NRW-Wahl sagen werden, was auf sie zukommt. Das ist ein Wahlbetrug mit Ansage. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar. Alle Kernzahlen sind Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, doch bekannt. Sie müssen doch keine Steuerschätzung abwarten, die im Übrigen sowieso noch nie gestimmt hat. Sie können sich darauf gar nicht verlassen. Sie haben doch jetzt alle Kernzahlen, um sagen zu können, was Sie eigentlich vorhaben. Immerhin, Herr Schäuble hat es angedeutet. Er sprach davon, dass kein Politikbereich ausgenommen sei, dass es keine Besitzstandswahrung gebe, dass Einschnitte in Leistungsgesetze zu erwarten seien. Welche denn? Warum sagen Sie das den Leuten nicht? Ich empfinde das als höchst unehrlich. Seien Sie so offen und sagen Sie jetzt, was Sie vorhaben, damit wir uns im Rahmen der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen damit auseinandersetzen können ...