nd-aktuell.de / 21.01.2010 / Politik / Seite 2

Oberst Klein und Guttenbergs großes Problem

Wie »militärisch angemessen« war die Tötung von 140 Afghanen?

René Heilig
Am 4. September 2009 ließ ein deutscher Oberst in Afghanistan zwei amerikanische 500-Pfund-Bomben auf zwei entführte, doch in einem Fluss stecken gebliebene Benzinlaster werfen. Er wollte Taliban töten. Mindestens 142 Menschen – darunter zahlreiche Unschuldige – hat er so umgebracht. Ein Kriegsverbrechen?

Die Kanzlerin versprach vier Tage nach dem Angriff vor dem Bundestag eine »lückenlose Aufklärung des Vorfalls«. Und das soll nun der Verteidigungsausschuss des Bundestages garantieren. Heute tagt er wieder. Es geht »nur« um Verfahrensfragen. Doch die bestimmen entscheidend über den Sinn oder Unsinn der ganzen parlamentarischen Aufklärungsbemühungen. Noch ist nicht erkennbar, dass es um die ganze Wahrheit geht.

Offiziell haben die Mitglieder des Verteidigungsausschusses die Aufgabe, die Streitkräfte zu kontrollieren. Eine Farce, die nach allen Erfahrungen nicht aufhört, wenn sich das Gremium zu einen Zwischending aus laienhafter Staatsanwaltschaft und zahnlosem Gericht umgestaltet. In solchen Untersuchungsausschüssen geht zumeist Parteiräson vor Wahrheitsliebe. Der heutige Donnerstag wird das erneut belegen.

In der Regel sind die Mitglieder des Verteidigungsausschuss zu zu strikter Geheimhaltung verpflichtet. Warum? Nun, die Beratungen »sind oftmals von hoher Brisanz, deshalb tagt der Verteidigungsausschuss hinter verschlossenen Türen«, heißt es dazu auf der Website des Bundestags. »Es geht schließlich um die Sicherheit des Landes und der Verbündeten. Und natürlich im die Bundeswehrsoldaten im Einsatz.«

Diesmal könnte es öffentlicher zugehen, doch erfahrene Journalisten glauben nicht daran. Und überhaupt, was heißt Fürsorgepflicht mit den Soldaten? Was ist mit denen, die durch Bundeswehrsoldaten zu Schaden, ja sogar ums Leben kommen? Was ist mit ihren Frauen und Kindern, ihren Eltern, die sich im Alter auf die Unterstützung ihrer Nachkommen verlassen müssen?

Parteipolitisch sind die Toten für die meisten Ausschussmitglieder eine Randgröße. Viele schauen allenfalls darauf, ob die Regeln des Tötens, die die ISAF ja angeblich sorgsam formuliert hat, eingehalten wurden. Nicht der Einsatz in einem fremden Land, in einem fremden Krieg steht zur Debatte.

Was soll simple Moral, wenn es doch um die Zukunft des Verteidigungsministers geht. Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) hat seinen Job bislang so eloquent erledigt, dass mancher den ehemaligen Unteroffizier der Gebirgsjäger schon zum schwarz-gelben Überflieger im Merkel-Kabinett erklärt hat.

Doch ganz so leicht wird er wohl vor dem Ausschuss nicht davon kommen. Am 6. November hatte er den Fraktionen des Bundestages in einer »sehr guten und wichtigen Unterredung« erklärt, dass »die Militärschläge und die Luftschläge vor dem Gesamthintergrund« als »militärisch angemessen zu sehen sind«. Selbst wenn es »Verfahrensfehler« gegeben haben sollte, »hätte der Luftschlag kommen müssen«, sagte der Minister. Und plapperte entweder nach, was ihm von Vorgänger Jung übernommene Vertuscher eingaben. Oder er log. Denn er hätte es bereits damals besser wissen können.

Am 3. Dezember war die Befehlsgebung des deutschen Oberst Georg Klein aus »objektiver Sicht« dann doch »militärisch nicht angemessen«. Schuld an dem ministeriellen Sinneswandel waren Medien, die NATO-Stellen angebohrt hatten.

Seltsam ist: Der Minister hatte für beide von ihm abgegebene Urteile nur ein und denselben NATO-Bericht zur Verfügung. Und darin gibt es mehrfach Hinweise darauf, dass Oberst Klein bei der Beurteilung der Lage grobe Fehler gemacht, die zu Hilfe gerufenen US-Piloten vorsätzlich belogen und klare ISAF-Befehlslagen ignoriert hat. Der Oberst behauptete beispielsweise, es bestehe eine akute Gefahr für das deutsche Feldlager in Kundus. Er bestätigte, dass eigenen Soldaten in unmittelbarer Gefahr seien. Alles Lüge! Klein wollte töten. Was immer ihn dazu getrieben hat.

Unklar ist auch noch, wer an seiner Seite noch dazu beigetragen hat, dass die Bomben ohne eigene Not abgeworfen wurden. Die Unklarheiten betreffen auch die Funktion der bei Kundus eingesetzten KSK-Spezialkräfte.

Als das langsam öffentlich und beweisbar wurde, opferte zu Guttenberg – um seinen Kopf zu retten – treue Knappen. Er schickte Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wiechert in die Wüste.

Wer wann was wusste oder verschwieg, kann Gegenstand der Nachforschungen im Untersuchungsausschuss sein. Wichtiger wäre es, die Frage zu beantworten, wie die Opfer deutscher Expansion entschädigt werden und wann sich Deutschland wie militärisch vom Hindukusch zurückzieht. Das ist aber nicht natürlich Gegenstand des Untersuchungsausschusses.

Man wird ja wohl fragen dürfen...

Es scheint so, als würden Abgeordnete in Länderparlamenten wie im Bundestag immer öfter nur über Umwege Zugang zu den für sie wichtigen und ihnen zustehenden Informationen erhalten. Und dabei nutzen sie – so sich die notwendige Anzahl der Kollegen nicht verweigert – die ultimativ letzte Möglichkeit: einen Untersuchungsausschuss. Gerade hat der Bundestag versucht, sich in BND-Angelegenheiten einzumischen und zu klären, wie tief Deutschland verstrickt war in den verlogenen US-Feldzug gegen den Terror. Mit mäßigem Erfolg. So erging es auch den Abgeordneten, als sie den Banken in die Krisen-Tresore schauen wollten.

Im bayerischen Landtag nimmt nun ein U-Ausschuss zum Milliardendebakel bei der BayernLB Ministerpräsident Seehofer und sein schwarz-gelbes Kabinett unter die Lupe. SPD, Freie Wähler und Grüne präsentieren 188 Einzelfragen zum Kauf der österreichischen Skandalbank Hypo Alpe Adria (HGAA), die dem Freistaat 3,7 Milliarden Euro Verlust eingebracht hat.

In Sachsen-Anhalt tagt der Polizei-U-Ausschuss in Permanenz. In den kommenden Monaten soll er Ermittlungspannen aufklären, die nach dem Überfall rechter Schläger auf Theaterschauspieler im Juni 2007 in Halberstadt »aufgetreten« sind.

Eine Steuerfahnder-Affäre wird Thema im hessischen Landtag. Die LINKE im Saar-Landtag will die Vorgänge rund um eingestellte Steuerverfahren gegen den FDP-Politiker Ostermann untersuchen.

Und dann tagt da gegenwärtig noch ein Bundestags-»Untersuchungsausschuss« der besonderen Art. Der Verteidigungsausschuss hat sich laut Gesetz zu einem solchen erklärt. Er beschäftigt sich mit der Tötung von über 140 Afghanen, die ein deutscher Oberst Anfang September 2009 bei Kundus befohlen hat. hei.