»Wir können vor Pfaffen und Edelleuten nit genesen«

Vor 500 Jahren: Verschwörung im Zeichen des Bundschuhs

  • Günter Vogler
  • Lesedauer: 6 Min.
Der in Diensten des Bischofs von Speyer stehende Landschreiber Georg Brenz berichtet zum Jahr 1502, in der Woche nach dem 3. April habe ein Knecht aus der Markgrafschaft Baden seinen Herrn informiert, »wie sich ein Gesellschaft, die Bundschuher genannt, zusammen verpflichtet« habe: Ihr gehörten viele Leute aus der Stadt Bruchsal und umliegenden Orten an, die Städte und Dörfer besetzen wollten und mit deren Anschluss rechneten. »Dann wollten sie Pfaffen und Edelleuten Gesetze geben«, und wer ihnen Widerstand leiste, sollte erschlagen werden. Im Frühjahr dieses Jahres liefen in den Bistümern Speyer und Straßburg vielerorts Gerüchte um, der »Bundschuh« sei wieder aufgerichtet worden. Aktionen unter diesem Zeichen verweisen auf eine längere Tradition. Im Elsaß diente es dem Kampf gegen die in das Land einfallenden französischen Söldner. Symbol einer sozialen Erhebung war der Bundschuh offensichtlich erstmals 1443, als Untertanen des Bischofs von Basel neue Steuern verweigerten, sich im Dorf Schliengen versammelten und einer den Bundschuh an einer Stange befestigte, »zu einem Zeichen, wer in der Sach gegen unseren gnädigen Herrn sein wolle, das der zu dem Bundschuh stehen mocht«. Der Bundschuh war die mit Riemen zusammengehaltene Fußbekleidung des armen Mannes. »Binden« konnte aber auch »sich verbinden« bedeuten. Die Unzufriedenen vereinten sich künftig wiederholt unter diesem Symbol, um drückende Lasten abzuwerfen und der Gesellschaft eine neue Ordnung zu geben. Als sich 1460 im Hegau im südlichen Schwarzwald Untertanen verschworen, malten sie auf ihr Fähnlein einen Pflug und einen Bundschuh. Im Frühjahr 1493 sammelte der Schultheiß des Dorfes Blienschweiler Anhänger unter dem Bundschuh. Im Herbst, wenn die Ernte eingebracht sei, wollten sie das elsässische Schlettstadt einnehmen. Doch der Plan wurde verraten und die meisten Verschwörer festgenommen, hingerichtet oder des Landes verwiesen, anderen der Schwurfinger abgehackt oder Geldbuße auferlegt. Die Idee, sich unter dem Bundschuh zu verschwören, lebte indes insgeheim fort. Mit Hilfe eines solchen Verbündnisses wollten 1502 Untertanen am Oberrhein die Verhältnisse verändern. Die wachsende Steuerlast, die Einschränkung bäuerlicher Rechte, die ungerechte Rechtsprechung und das Verhalten der Geistlichkeit erregten die Gemüter, angesichts einer anhaltenden Teuerung und Hungersnot. Die Obrigkeiten waren beunruhigt, ließen verdächtige Dorfgemeinden auskundschaften und versammelten sich mehrmals, um Maßnahmen zu vereinbaren, wie dem »Aufruhr« zuvor zu kommen sei. Ein junger weltkundiger Bauer aus Untergrombach bei Bruchsal namens Joß Fritz nahm sich diesmal der Sache an. Er wusste, was seine Dorfgenossen bedrückte, war redegewandt und überzeugend in seiner Argumentation, und er wusste geheime Verbündnisse zu organisieren. Mit den biblischen und auch mit den seit dem 15. Jahrhundert verbreiteten Reformgedanken vertraut, verband er alltägliche Belange mit weit reichenden Zielen. Was die Verschworenen konkret beabsichtigten, ist nur aus Verhören zu erschließen: Sie hätten die Sache begonnen, so wird berichtet, »damit sie jedes Joch der Dienstbarkeit gewaltsam abwürfen und sich nach Schweizerart jegliche Freiheit mit den Waffen erstritten, sobald sie an Zahl gewachsen, sich fähig zum Kampf dünkten und glaubten, ihn bestehen zu können«. Es sei ihre Absicht gewesen, niemandes Herrschaft mehr zu dulden, keinen Zins und keinen Zehnt mehr zu geben und den Fürsten keine Steuern und keinen Zoll zu zahlen. Was die Fürsten allein für sich nutzten, sollte wieder Gemeineigentum werden: Jagd, Fischfang, Weide, Wald. Sie wollten zuerst gegen den Markgrafen von Baden, dann gegen den Bischof von Speyer sowie gegen die Mönche und die Geistlichkeit zu Felde ziehen. Vereinbart war auch ein Erkennungszeichen. Begegneten sich zwei Leute, fragte einer, der dem Bundschuh angehörte: »Was ist Euch für ein Wesen?« Stand ihm ein Mitglied des Bundes gegenüber, dann war die Antwort: »Wir können vor Pfaffen und Edelleuten nit genesen.« Die Herrschenden nahmen die ihnen zukommenden Nachrichten ernst. Bischof Albrecht von Straßburg lud zum 29. April zu einer Beratung nach Schlettstadt ein, wo seine Vertreter mit Botschaften des Kaisers, des Kurfürsten der Pfalz und weiterer Landesherren sowie der elsässischen Städte zusammen kamen. Die bischöfliche Gesandtschaft informierte, der »Bundschuh« habe viele Anhänger, entsende Boten in das Land, um unter den Bauern zu werben, und auch in die Schweiz sei eine Botschaft abgefertigt worden. Die Versammelten vereinbarten, den Kaiser zu informieren, die Bundschuhverschwörung richte sich »wider alle Oberkeit«, und sie beschlossen, jede Herrschaft und jede Stadt solle sich mit Geschütz, Proviant und Wachmannschaften versehen. Herrenlose Landsknechte sollten aus dem Land gewiesen, die Straßen kontrolliert und die Wirtshäuser zu bestimmter Stunde geschlossen werden, auch kein Untertan ohne Erlaubnis das Land verlassen. Ein zweites Mal berieten Botschaften am 10. Juni in Schlettstadt, nun vor allem darüber, was geschehen solle, wenn sich der Aufstand ausweitet. An dieser Verschwörung war mehreres bemerkenswert: Erstens war die Idee des »Bundschuhs« trotz Verfolgungen nach Jahren noch lebendig und vermochte Untertanen zu mobilisieren. Zweitens galten die Forderungen nicht nur den Belangen einzelner Gemeinden. Es ging vielmehr um die Sicherung von Rechten und die Festlegung von Pflichten der Untertanen. Drittens stand mit Joß Fritz eine Persönlichkeit an der Spitze, die über Führungsqualitäten verfügte. Viertens handelte es sich nicht um einen spontanen Aufruhr, sondern um eine längerfristig vorbereitete Aktion. Und fünftens gelang es wohl, die Planungen längere Zeit geheim zu halten. Doch die Verschwörung wurde auch diesmal aufgedeckt. Die Herrschenden dankten Gott, dass er sie vor »bäurischer Regierung« behütet habe. Auch diesmal folgte Strafgericht, aber die Pläne blieben nicht ohne Wirkung. Manche Forderung von 1502 tauchte in den Artikeln der Bauernkriegszeit 1525 wieder auf. Aber schon vorher organisierte Joß Fritz neue Verschwörungen, so 1513 in Lehen im Breisgau. Diesmal ließ er in Heilbronn oder Metz bei einem Maler eine Fahne anfertigen, die den gekreuzigten Christus und zu seinen Füßen einen knienden Bauern zeigte. Darunter stand die Losung: »Nichts denn die Gerechtigkeit Gottes«. Damit erhielten die Forderungen, die an das Programm von 1502 erinnerten und eine radikalere Gestalt annahmen, eine prinzipielle Legitimation. Denn »Gerechtigkeit Gottes« bedeutete, dass die antiobrigkeitlich interpretierten Normen des Evangeliums in allen weltlichen Dingen respektiert werden sollten. Daran sollte das Verhalten der Obrigkeiten gemessen werden. Im Jahr 1517 organisierte Joß Fritz am Oberrhein wiederum einen »Bundschuh«. Im September, zur Kirchweih im elsässischen Zabern, sollte losgeschlagen werden. Das Unternehmen scheiterte in dem Jahr, in dem Martin Luther die Reformation auslöste. Wie ernst die »Bundschuh«-Sache auch jetzt noch genommen wurde, demonstrierten die Gegner Luthers. Thomas Murner, ein sprachmächtiger Autor der Altgläubigen, veröffentlichte 1522 eine Schrift »Von dem großen lutherischen Narren«. Darin zeigt ein Holzschnitt, wie Luther den Bundschuh »schmiert«. Mit anderen Worten: zum Aufruhr anreizt. Das war böswillig, denn der Wittenberger argumentierte vehement gegen jeglichen Aufruhr. Aber für die Gegenpropaganda schien das Erinnern an den »Bundschuh« immer noch wirkungsvoll zu sein. Als der Bauernkrieg 1524/25 begann, wurde offenbar nur noch in der Anfangsphase an das Bundschuh-Symbol erinnert. In der Sache setzten die Erhebungen in größerer territorialer Dimension fort, was schon viel früher begonnen hatte.
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