Transparenzanspruch weicht Kohls Einspruch

Bundestag hörte Experten zur Novellierung des Stasiunterlagen-Gesetzes

  • Peter Richter
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.

Ziemlich weit auseinander gingen bei einer Anhörung die Meinungen darüber, inwieweit die Folgen des Kohl-Urteils über die Stasiakten durch eine Gesetzesänderung »geheilt« werden können.

Wie kann man es Helmut Kohl und den Stasi-Opfern zugleich Recht machen? Mit dieser schwierigen Frage beschäftigten sich - auf den Punkt gebracht - am Donnerstagnachmittag der Innenausschuss des Bundestages und ein Dutzend von ihm geladener Experten. Ausgerechnet der »Kanzler der Einheit« hatte ihnen mit seiner erfolgreichen Verwaltungsgerichtsklage gegen die Herausgabe ihn betreffender MfS-Elaborate diese harte Nuss zu knacken gegeben. Kohls Anwälte hatten sich bei ihrer Argumentation auf das geltende Stasiunterlagen-Gesetz gestützt, das zwar die weitgehend uneingeschränkte Herausgabe von Materialien über einstige Mitarbeiter und »Begünstigte« des MfS vorsieht, bei Personen der Zeitgeschichte, Inhabern politischer Funktionen oder Amtsträgern jedoch nur dann, »sofern sie nicht Betroffene oder Dritte sind«. Als solcher betrachtet sich der Ex-Kanzler, was das Bundesverwaltungsgericht bejahte. Als solche können sich aber auch alle anderen »Amtsträger«, ob Ost oder West, betrachten, über die das MfS Informationen sammelte. Marianne Birthler, Chefin der Stasiakten-Behörde, die durch das Kohl-Urteil die historische Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit generell gefährdet sieht, schlägt nun zur Präzisierung des Gesetzes einerseits eine Herausgabebeschränkung auf Materialien über das öffentliche Wirken der »Funktionäre«, zum anderen eine stärkere Zweckbindung auf tatsächliche »Stasi-Forschung« vor - und will das durch »verantwortungsbewusste Abwägung« in ihrer Behörde künftig noch besser gewährleisten. Sie fürchtet offenbar vor allem, dass die Gesetzesnovellierung den eigenen Entscheidungsspielraum reduzieren könnte. Weiter gehen die Vertreter von Opferverbänden, die die ersatzlose Streichung des einschränkenden Nebensatzes im Gesetz fordern. Sie wollen uneingeschränkte Aktenöffnung - ohne Rücksicht auf das »Opfer« Kohl. Sie würden - wie trotz einiger Bedenken letztlich auch die Aktenbehörde - im Zweifel akzeptieren, dass ostdeutsche Prominente schlechter gestellt werden als westdeutsche. Die Verfechter solch großzügiger Regelungen sehen sich einer starken Phalanx aus Datenschützern, Archivaren und Parteivertretern aus Koalition wie Opposition gegenüber, die das bereits 1991 verfolgte Ziel, auch die Stasiakten ins bundesdeutsche Archivwesen einzuordnen, nun zu Ende bringen wollen. Das war der eindeutige Tenor der Ausführungen des Datenschützers Roland Bachmaier als auch des Präsidenten des Bundesarchivs, Hartmut Weber. Sie schlagen daher die weitgehende Angleichung des Gesetzes an die geltenden Archivbestimmungen vor, und Weber bot direkt an: »Diese archivischen Aufgaben längerfristig zu übernehmen, ist das Bundesarchiv bereit und in der Lage.« Sympathie finden sie damit bei der Union, die sich im Widerstreit zwischen Helmut Kohl und den Stasi-Opfern klar für ersteren entscheidet, bei der FDP, teilweise aber auch bei der SPD, während die Grünen sich noch ein wenig als Interessenvertreter der Bürgerrechtler verstehen. Doch auch bei ihnen fanden weiter gehende Überlegungen zur generellen Stärkung des Informationsrechtes des Bürger kaum ein Echo, wie sie Reinhard Schult, den die PDS als Sachverständigen benannt hatte, vortrug. Er plädierte für mehr »Transparenz im politischen Handeln«, die keine Einschränkung, sondern eher noch eine Erweiterung des Zugangs zu Akten verlange - beispielsweise durch Verringerung von Sperrfristen oder die Öffnung der Archive des BND, des Verfassungsschutzes und des MAD der alten Bundesrepublik. Wenn es trotz der Differenzen noch vor der Bundestagswahl zu einer Novellierung des Gesetzes kommen sollte, dann wohl kaum zur Herausgabepraxis nach dem Kohl-Urteil, sondern lediglich zu jenem Paragrafen, der ab 1.Januar 2003 »Betroffenen oder Dritten« das Recht einräumte, über sie gespeicherte Informationen zu »anonymisieren«. ...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.