Mit kalten Füßen auf heißem Pflaster

Berliner SPD/PDS-Senat tut sich schwer mit radikalem Protest und einem Nazi-Aufmarsch am 1. Mai

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 5 Min.
Gangster im Rotlicht-Milieu traten keineswegs die Flucht an, Knöllchen für Falschparker wurden nicht weniger, Diebe und Betrüger gerieten nicht zu Asketen, nur weil in Berlin Rot-Rot regiert. Aber wie geht ein Senat aus SPD und PDS mit politischem und sozialem Protest um, wie er in Gestalt von aufgeladenen Revolutions-Demos am 1. Mai naht?
Die »Westberliner Botschaft der Autonomen Republik Kreuzberg« teilt mit, man werde an diesem Tag »autonom und selbstbestimmt Protest und Widerstand auf die Straße tragen«. Man erwarte, dass die territoriale Unversehrtheit der Republik von der Polizei respektiert werde, und erteile »Einreiseverbot für Innensenatoren, Sparschweine und Kriegstreiber«. Zugleich verfüge man »Ausweisungen für Gerichtsvollzieher, Sklavenhändler, Yuppies, Bonzen, Rassisten/Faschisten sowie Denunzianten«. Am Tag selbst sind zu fortgeschrittener Stunde solche Fröhlichkeiten eher selten. Seit 15 Jahren gleichen sich in Kreuzberg die Szenarien: In den Abendstunden verbarrikadieren Geschäftsleute ihre Läden, Kneipenbesitzer bieten zwecks Show-Time preisgünstige Getränke und Fensterplätze an. Alsbald brennen im Dunstkreis der »Revolutionären 1.-Mai-Demo« Mülltonnen und Autos, Schaufensterscheiben splittern, Steine fliegen. Es passiert all das, was man in der autonomen Szene für Aufruhr und Revolution hält. Mit kräftigem Zutun der Polizei regiert das Chaos. Sie schlägt sich durch die Reihen der Demonstranten, um vermeintliche Übeltäter zu fassen. Oder jagt sie quer durch ein Straßenfest. Manchmal geht es nur um ein nicht genehmes Fähnchen, einen missliebigen Spruch auf einem Plakat. Wasserwerfer schießen den Weg frei. Es werden Leute misshandelt. Auch Unbeteiligte. Im vorigen Jahr traf es neben Journalisten und anderen Prof. Wolf-Dieter Narr von der Freien Universität, der als Demo-Beobachter gekennzeichnet war und weiß Gott nicht wie ein Szene-Mensch ausschaut. Autonome und Polizei machen sich gegenseitig für die Tumulte verantwortlich. Es gibt verletzte Polizisten. Deren Zahl erfährt man am Tag danach. Um die Opfer unter den Demonstranten schert sich keine offizielle Statistik. Dieses Jahr sollte alles ganz anders werden. Um das nahezu ritualisierte Geschehen zu beenden, hatte sich ein 50-köpfiges Personenbündnis um den Politologen Prof. Peter Grottian von der FU gebildet, das eine freundliche Übernahme weiter Teile Kreuzbergs am 1. Mai ankündigte. Eine Gemengelage von politischem Protest, Debatten über soziale Nöte, Krieg und den Nahen Osten, Feiern und friedvollen Demonstrationen sollten den Tag auf den Straßen prägen, alle Radikalitäten dabei sein und mittun. Als Prämisse galt allerdings ein polizeifreies Kreuzberg. Selbst mit Lederjacke und Jeans überkostümiert-getarnte Polizisten sollten dem Geschehen fern bleiben. Lediglich bei Kneipenschlägereien oder anderer niederer Kriminalität sollten einige mit dem roten Band des Vertrauens gekennzeichnete Polizisten anrücken dürfen. Grottian wollte Gewaltbereiten in der Szene mit der Abwesenheit hochgerüsteter Polizei das Feindbild nehmen und ging davon aus, dass sich schlechterdings kein gleichwertiger Ersatz finden würde und Straßenschlachten ausbleiben. Nach anfänglichem Wohlwollen beim Innensenat und in der Polizeiführung obsiegten Skepsis und Risikobegrenzung. Die autonome Szene solle tun, was sie wolle, aber nicht Krawall machen, meinte Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Polizei- und rechtsfreie Räume dürfe es nicht geben. Untersagen - wie sein CDU-Vorgänger 2001 - mochte Körting die gewaltträchtige revolutionäre Abenddemo nicht. Er habe nicht den Eindruck gewonnen, dass das Verbot geholfen habe, Gewalt zu verhindern, äußerte er. Mithin war klar, dass Kreuzberg wieder von 6000 bis 8000 Polizisten belagert werden würde, zumal Grottian und sein Bündnis das Konzept unter diesen Umständen zurückzogen. Man sei in den Kietzen und in der Szene kaum auf Verständnis gestoßen, so das resignierende Fazit. Körting bevorzugt Auflagen für die Aufzüge und eine Deeskalationsstrategie seiner Polizei. Was meint, dass Demos nicht hautnah begleitet werden, die »Truppen« sich lediglich in anliegenden Seitenstraßen aufhalten. Wie zur diesjährigen Liebknecht-Luxemburg-Demo, als so mit dem Schwarzen Block verfahren wurde und es zu keiner Auseinandersetzung kam. Wenn Steine fliegen, sieht Körting die Deeskalation allerdings als beendet an. Innerhalb der autonomen Szene führte das Grottian-Konzept derweil zu heftigen Auseinandersetzungen. Damit klar wird, wer in Kreuzberg das Sagen hat, brannte erst einmal das Auto des Professors. Dann fiel man - ohnehin heillos zerstritten - verbal übereinander her. Attac und die Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) - beide am Bündnis beteiligt - warf man Verrat an der Sache der Arbeiterschaft vor. Grottian wurde bezichtigt, im Bund mit dem Teufel die Linke von langer Hand spalten zu wollen. Man geriet sich über Israel und Palästina, Reform und Revolution, die Ausbeutung des Trikont und Sexismus in die Haare. Hoffnungen in den rot-roten Senat schlugen allzu rasch in Enttäuschungen um. Man räumt der Sozialdemokratie gute Chancen ein, »einen festen Platz unter den Top 10 der verbrecherischsten Organisationen der Menschheit zu belegen«, wie es bei der AAB heißt. Oftmals scheint es - nachzulesen im Internet -, als würden sich die einzelnen Gruppen nur der sozialen Probleme der Kreuzberger bedienen, um die Anhängerschaft zu mehren. Denn in den Aufrufen und Diskussionspapieren dominiert ansonsten die thesenförmige Analyse der allgemeinen weltpolitischen Abläufe. Es wird manch Kluges geredet oder geschrieben, aber auch Ungereimtes oder einfach Unfug - in den Kiezen wird wohlmeinendes autonomes Ansinnen eher wenig verstanden. Trotzdem bringt man alljährlich im Mai bis zu 15000 Leute auf die Straße. Nichtsdestotrotz nennt Friedrichshain-Kreuzbergs Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) die autonome Szene einen wichtigen Teil der Widerstandskultur. Veränderungen reiften oft erst deswegen heran, weil Gruppen ihr radikales Gedankengut auch radikal vertreten haben. Nur müsse die Szene sich besser verständlich machen und die Kommunikationsfähigkeit erhalten bleiben. Zu alldem sieht sich der rot-rote Senat, ohnehin sich mit kalten Füßen auf heißem Mai-Pflaster bewegend, noch in einer weiteren schwierigen Situation: Die NPD hat einen Aufzug vom Ostbahnhof zum Alexanderplatz angemeldet. Die »Berliner Initiative Europa ohne Rassismus« ruft deshalb auf, »sich laut, bunt und kreativ den Nazis gewaltfrei und friedlich in den Weg zu stellen«. Strenge Auflagen oder die Verlegung in Außenbezirke könnten eine breite gesellschaftliche Ächtung nicht ersetzen. Orte an der Nazi-Marschstrecke, an denen man Gesicht zeigen will, werde man alsbald bekannt geben. Dies unterschrieb neben vielen anderen auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Damit scheinen sich er und andere SPD-Spitzen überaus uneins mit dem Innensenator zu sein. Denn der hat sich festgelegt: Demo-Ort und Demo-Route werden geheim gehalten, damit NPD-Aktion und Protest möglichst weit voneinander getrennt werden. Und ein anderer Bezirk, dem Vernehmen nach Hohenschönhausen, werde den braunen Marsch »beherbergen«. Soll damit dieses Naziproblem aus staatlicher Sicht gelöst sein?
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