Stille Genießerin aus der Straße Am Goldacker

Die Erfurterin Stephanie Beckert läuft hinter der Tschechin Martina Sablikova über 3000 m zu Silber

  • Frank Thomas, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.

Erst kurz vor Mitternacht beim Rostbrätl im Thüringen-Haus konnte Stephanie Beckert (Foto: AFP) ihre Sternstunde halbwegs realisieren. »Dieses Gefühl ist unbeschreiblich«, brach es aus ihr heraus, als nach Medaillenzeremonie und Interviewmarathon der wohl aufregendste Tag ihrer noch jungen Karriere zu Ende ging. Dagegen war Daniela Anschütz-Thoms, ihre Teamgefährtin aus Erfurt, noch Stunden nach dem 3000-Meter-Rennen eher zum Heulen zumute. So dicht lagen im Olympic Oval Freud und Leid im Erfurter Lager beieinander. »Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge«, gestand denn auch Erfolgscoach Stephan Gneupel.

Insgesamt blieben die Emotionen von Stephanie Beckert eher im Verborgenen. Still genoss sie ihre Silbermedaille. Ein Lächeln huschte erst über ihr Gesicht, als sie auf die Familie angesprochen wurde. »Natürlich habe ich schon telefoniert. Sie sind alle völlig aus dem Häuschen.«

In der Straße Am Goldacker von Kerspleben ist die eislauf-verrückte Familie Beckert zu Hause. Und der Straßenname soll nun ein gutes Omen für das 5000-Meter-Rennen sein, in dem die 21-Jährige noch stärker eingeschätzt wird. Vier Geschwister drücken dafür daheim die Daumen, nur Bruder Patrick durfte sie auf ihrem ersten Olympiatrip begleiten.

Allen hat Mutter Angela, früher selbst Eisschnellläuferin, die Liebe zu ihrem Sport in die Wiege gelegt. »Die ganze Familie hat mir geholfen, wenn es mal nicht lief. Ich vermisse sie hier so sehr. Und auch meine Hündin Trixie«, dachte die Blondine in der Stunde des Erfolges an ihre Lieben daheim.

Mit einer furiosen Schlussrunde in 31,65 Sekunden hatte Beckert im Duell mit der Kanadierin Kristina Groves Platz zwei aus dem Feuer gerissen. »Aber ich wusste, da kommen noch zwei Topläuferinnen. An eine Medaille habe ich da immer noch nicht gedacht«, gestand sie. Als dann für ihre Trainingsgefährtin Anschütz-Thoms vor der letzten Runde Platz zwei an der Anzeige aufleuchtete, schien die Vorsicht begründet. Doch Anschütz brach nach einem bis dahin herausragenden Rennen ein, verlor auf den letzten 400 Metern rund 1,8 Sekunden auf ihre Erfurter Rivalin. Drei Hundertstel fehlten ihr schließlich zu Bronze.

»Ich habe die Scheiße so an der Backe kleben. Ich bin unendlich traurig«, meinte die 35-Jährige, nachdem ihr auch im siebten Anlauf der Griff nach einer olympischen Einzelmedaille versagt geblieben war. Zerknirscht saß sie auf der Bank, als die überragende Siegerin Martina Sablikova mit der tschechischen Fahne das Oval auf und ab lief. Mit Bahnrekord von 4:02,53 Minuten hatte die spindeldürre Läuferin aus Velky Osek das erste olympische Eisschnelllauf-Gold für ihr Land geholt.

Zu den ersten Gratulantinnen Beckerts zählte ihr großes Idol: Gunda Niemann-Stirnemann, die in Richmond als Co-Kommentatorin für das ZDF arbeitet. »Gunda hat mich begeistert, seit ich zehn war. Auch wegen ihr bin ich damals vom Eiskunstlauf zum Eisschnelllauf gewechselt«, erklärte die Newcomerin. Die »schnelle Gunda« hat die Schlittschuhe längst an den Nagel gehängt, Claudia Pechstein ist gesperrt, Anni Friesinger-Postma will 2011 zurücktreten – Stephanie Beckert scheint derzeit die einzige zu sein, die in ihre riesigen Fußstapfen treten könnte.

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