Aufschrei der Sonderschulen

Hamburg will behinderte und nichtbehinderte Kinder gemeinsam unterrichten – und dabei Geld sparen

  • Guido Sprügel
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Debatte um die Zukunft des Hamburger Schulsystem droht dem schwarz-grünen Senat neues Ungemach. Die Bildungsbehörde der Hansestadt schreibt sich zwar die Inklusion behinderter Schüler auf ihre Fahnen. In der Realität drohen aber massive Einsparungen, wie jetzt bekannt wurde.

Als wenn es in der Hamburger Bildungslandschaft nicht schon genug Baustellen gäbe. Gerade sind die Verhandlungen zwischen Reformgegnern und dem schwarz-grünen Senat über die Schulreform gescheitert, da steht bereits neuer Streit vor der Tür. Anlass sind die nun veröffentlichten Berechnungsgrundlagen für die Integration behinderter Schüler in die allgemeinen Schulen. Intern wird das Modell »I neu« genannt. Über die Hälfte der Förderung soll in Zukunft gestrichen werden. Die Schulleitungen der Sonderschulen schlagen deshalb Alarm. Hintergrund der geplanten Integration von behinderten Schülern in die allgemeinbildenden Schulen ist die UN-Konvention zur Inklusion behinderter Menschen. Diese Konvention hat die Bundesrepublik bereits im März vergangenen Jahres ratifiziert, die Umsetzung nimmt in den einzelnen Bundesländern nun langsam Gestalt an. Der Hamburger Senat hat sich sehr früh auf den Weg gemacht und in den vergangenen Monaten im Bundesdurchschnitt eine Spitzenposition bei den eingeleiteten Maßnahmen eingenommen. Seit November ist der Rechtsanspruch auf integrative Beschulung sogar schon im Schulgesetz verankert worden – natürlich mit einer ausführenden Rechtsverordnung, die aus dem »sofort« ein »bald« machte. Nichtsdestotrotz sollen ab nächsten Sommer alle Kinder in allgemeine Schulen eingeschult werden.

So löblich der Ansatz ist, desto klarer wird nun nach Veröffentlichung der Berechnungsgrundlagen, dass es sich dabei wahrscheinlich um eine Sparnummer handeln wird. Bislang haben Schüler mit Behinderung ein Anrecht auf drei Stunden Förderung in der Woche, wenn sie integrativ beschult werden. »Selbst bei dieser Zahl kann Förderung nur auf der Strecke bleiben. Viele Schüler benötigen eine sehr intensive Betreuung, die in drei Stunden nicht gewährleistet werden kann«, so Annette Bartsch, Lehrerin an einer Förderschule. Die nun veröffentlichten Zahlen weisen Schülern mit einem Förderbedarf im Bereich des Lernens, der Sprache und der sozial-emotionalen Entwicklung (sogenannte verhaltensauffällige Schüler) nur noch eine zusätzliche Betreuung von 1,5 Stunden zu. Kindern mit Sprachschwierigkeiten kommt in der ersten Klasse gar nur eine zusätzliche Unterstützung von einer Stunde zugute.

Gegen diese geplanten Kürzungen wehren sich die Schulleiter der Sprach- und Förderschulen nun geschlossen. In einem Brief an die Behörde betonen sie, dass eine integrative Förderung mit den neuen Berechnungsgrundlagen nicht zu leisten sei. »Damit kann man kein Kind in eine Regelschule integrieren«, betont Stefan Romey, Stellvertretender Direktor einer Förderschule gegenüber ND. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schließt sich dem Protest in einer Stellungnahme an. Das Modell I neu »vernichte einen Großteil der sonderpädagogischen Lehrerstellen«.

In der nächsten Woche steht ein Treffen der Schulleiter mit der zuständigen Projektgruppe an. Ob die Ressourcen dann weiterhin gedeckelt werden, entscheidet unter Umständen letztendlich über den Erfolg der Integration. Denn zum Spartarif, da sind sich Schulleiter und GEW einig, ist diese nicht zu haben.

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