Staatlich verordnete Desintegration

Berliner Härtefallkommission und der Integrationsbeauftragte ziehen nach fünf Jahren Bilanz

  • Sarah Liebigt
  • Lesedauer: 3 Min.

So widerborstig, hartnäckig, robust und langlebig wie ein Kaktus – derartige Eigenschaften bringen die Mitglieder der Härtefallkommission in ihre Arbeit mit ein, lobte der Berliner Integrationsbeauftragte Günter Piening am Freitag. Und überreichte zum fünfjährigen Geburtstag der Kommission und zum Dank für die langjährige Arbeit an jedes Mitglied eines der stachligen Gewächse.

Bei drohender Abschiebung werden bundesweit die meisten Härtefälle in Berlin positiv beschieden: Gut 25 Prozent aller erfolgreichen Ersuchen in Deutschland sind der Arbeit der Berliner Härtefallkommission und des Innensenators Ehrhart Körting (SPD) zu verdanken, sagte Piening am Freitag.

Im vergangenen Jahr wurden von 196 von der Kommission eingebrachten Fällen 134 von Innensenator Körting positiv beschieden. »Wenn man bedenkt, dass Berlin bundesweit gut ein Viertel der positiv beschiedenen Härtefälle stellt, dann lässt sich daraus ermessen, wie wichtig dieses Engagement für Menschen geworden ist, die durch das Netz der regulären Aufenthaltsregelungen nicht aufgefangen werden«, so Piening.

Durch die Neuregelung des Bleiberechts für langjährig geduldete Personen sanken ab 2007 zunächst die Fälle, die der Härtefallkommission zur Beratung vorgelegt wurden. Der Trend kehrte sich im vergangenen Jahr allerdings wieder um. »Wir haben wieder zunehmend Fälle, in denen das neue Bleiberecht nicht greift«, sagte Piening. In diesen Fällen sei die Härtefallkommission der »letzte Strohhalm«. Für Piening ist das erneute Ansteigen der Fallzahlen auch ein Indiz, dass die Bleiberechtsregelungen nach wie vor zu restriktiv sind, um zu einer wirklichen Abschaffung der Kettenduldungen zu kommen.

Der Duldungsstatus sei jedoch nichts anderes als »staatlich verordnete Desintegration«, sagte Pater Martin Stark, Vertreter des Erzbistums Berlin und seit vier Jahren Mitglied der Kommission. Stark appellierte zudem an die Politik, eine Bleiberechtsregelung zu schaffen, die auf restriktive Ausschlussgründe wie Stichtagsregelungen verzichtet und jedem Geduldeten nach fünf Jahren einen Aufenthaltstitel erteilt. Mitunter wenden sich Menschen an die Kommission, die seit Jahren und Jahrzehnten nur unter dem Duldungsstatus in Berlin leben.

Die Härtefallkommission ist die letzte Anlaufstelle, wenn eine drohende Abschiebung bereits vor Gericht für rechtmäßig befunden wurde. Unabhängig von der Ausländerbehörde kann die Kommission einen Antrag für eine Aufenthaltsgenehmigung dem amtierenden Innensenator zum Entscheid vorlegen. Die Kommission als solche besteht seit 1990, jedoch kann sie erst seit 2005 auf Grundlage von Paragraf 23a im Aufenthaltsgesetz in Fällen von humanitären Härten Menschen ein Aufenthaltsrecht geben.

Faltblatt der Härtefallkommission: www.berlin.de/lb/intmig/publikationen/recht/index.html

Bilanz der Berliner Härtefallkommission 2010

  • Die Härtefallkommission in Berlin besteht seit 1990, übt jedoch erst mit der Einführung von Paragraf 23 a im Jahr 2005 des Aufenthaltsgesetzes mehr als eine beratende oder empfehlende Funktion aus.
  • Zwischen 2005 und 2010 wurden 679 Fälle positiv entschieden. Dadurch erhielten insgesamt 1843 Personen eine Aufenthaltsgenehmigung.
  • 2009 gab es in 134 eingereichten Fällen einen positiven Entscheid, so haben 237 Personen eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen.
  • Die Zahl der Menschen mit Duldungsstatus sank von 20 000 im Jahr 2000 auf rund 8000 im Jahr 2005, heute sind es noch etwa 4000 Menschen.
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