»Armut ist eine fundamental politische Angelegenheit«

Der kenianische Politologe Firoze Manji über Afrikas geschaffene Abhängigkeiten

  • Lesedauer: 5 Min.
Der kenianische Sozialwissenschaftler Firoze Manji ist Direktor von Fahamu, einer Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, mittels Informations- und Kommunikationstechnologien den Kampf für soziale Gerechtigkeit in Afrika zu unterstützen. Manji ist zudem Herausgeber von »Pambazuka News«, einem wöchentlich erscheinenden Newsletter über soziale Gerechtigkeit in Afrika (www.fahamu.org und www.pambazuka.org). Mit ihm sprach für ND Martin Ling.
»Armut ist eine fundamental politische Angelegenheit«

ND: Wie wirkt sich die aktuelle Weltwirtschaftskrise auf die soziale Stabilität in Afrika aus? Die Regulierungsfähigkeit vieler Staaten kam ja schon seit den 80er Jahren durch die Strukturanpassungsprogramme des Internationalen Währungsfonds (IWF) unter die Räder?
Manji: Es handelt sich um eine sehr ernste Angelegenheit. Es gibt eine Verzögerung zwischen dem, was auf den Finanzmärkten geschah, und den Auswirkungen, die das haben wird. Ich rechne, dass sich diese erst dieses Jahr in den meisten afrikanischen Staaten voll entfalten werden. Was sich bereits klar gezeigt hat, ist, dass die Afrikaner in der Diaspora viel weniger Geld an ihre Familien schicken als gewohnt. Zu erwarten ist auch ein Rückgang staatlicher Entwicklungsgelder aus dem Norden, wenn dort die Haushaltskonsolidierung nach den Bankenrettungspaketen eingeläutet wird.

Es ist absehbar, dass in Afrika die Menschen aufgefordert werden, ihre Gürtel künftig enger zu schnallen. Unglücklicherweise haben viele von ihnen ihre Gürtel gestern bereits gegessen. Die Auswirkungen der Krise könnte diese Menschen schwer treffen.

Geht die Krise über die wirtschaftlichen Auswirkungen hinaus?
Ja. Viele Menschen haben noch nicht begriffen, dass es sich nicht nur um eine ökonomische Krise handelt, nicht nur um eine Finanzkrise, sondern um eine grundsätzliche Krise der Glaubwürdigkeit des tradierten Systems und der Gläubiger, ob Regierungen oder Internationaler Währungsfonds oder Weltbank. Sie waren es, die gesagt haben, wenn der Süden die Investitionen in soziale Infrastruktur (Gesundheit, Bildung usw..) stoppt, wenn er die Bauern nicht mehr subventioniert, wenn er seine Volkswirtschaften für internationales Kapital öffnet, dann wird alles gut. Die Realität sieht anders aus. Wir mussten feststellen, dass diese Ideologie nicht funktioniert, es ist die Ideologie, die die Krise produziert hat. Uns wurde gesagt, wir sollten unsere Märkte öffnen. Aber wenn man auf die erfolgreichsten Länder in Sachen Armutsbekämpfung schaut, Indien und China, dann haben sie das über eine Entwicklung des Binnenmarktes und dessen Schutz geschafft. Wir müssen mit dieser Ideologie brechen und wieder in die soziale Infrastruktur und die Bauern investieren, schlicht in die Menschen, denn sie sind unsere wichtigste Ressource.

Für Investitionen sind Mittel erforderlich. Wie soll das in den ausgezehrten afrikanischen Staaten vonstatten gehen?
Die Schwierigkeit liegt darin, dass der politische Ausdruck eines solchen Willens häufig fehlt. In vielen Ländern existieren nur Parteien, die die jeweils andere Seite derselben Medaille darstellen. Es gibt auch Regierungen, die von der Krise profitieren und die enge Allianzen mit den multinationalen Unternehmen pflegen.

Gibt es Positivbeispiele von Regierungen in Afrika, die einen anderen Kurs einzuschlagen bereit sind?
Immer wenn solche Regierungen bisher aufgetaucht sind, wurden ihre Bemühungen vom Westen konterkariert. Zum Beispiel Patrice Lumumba Anfang der 60er Jahre in Kongo, Kwame Nkrumah nach 1957 in Ghana, Thomas Sankara in Burkina Faso in den 80ern. Was Sankara in wenigen Jahren schaffte, war außergewöhnlich. Manchen sehen in Angola die künftige Größe. Wir haben uns in »Pambazuka News« jüngst dem Fall Angola gewidmet. Es hat sich gezeigt, dass der Ölreichtums bei der Bevölkerung kaum ankommt. Die regierende MPLA kooperiert eng mit den Multis. Eine Unterscheidung zwischen dem Staat und den Ölfirmen existiert de facto nicht. Andererseits gibt es eine lebendige Zivilgesellschaft und eine scharfe Kritik am Regierungsgebaren.

Sie haben sich in der Vergangenheit sehr kritisch über die Rolle von Nichtregierungsorganisationen in Afrika gezeigt. Können Sie das erläutern?
Sicher. In den 80er Jahren wurden unter der Ägide des IWF auch in vielen afrikanischen Ländern Strukturanpassungsprogramme (SAP) eingeführt. Sie beinhalteten Kürzungen in den Sozialausgaben, vor allem bei der Gesundheit und der Bildung. Damit wurde die soziale Fürsorge in den Privatsektor umgeleitet. Der Privatsektor hat seine Aufgabe offensichtlich nicht erfüllt. Das zeigt die soziale Krise in Afrika. Aber was die Privatisierung bewirkt hat, ist schlicht, dass aus dem Recht auf Gesundheit und Bildung eine mildtätige Gabe seitens von Nichtregierungsorganisationen (NRO) geworden ist. In diesem Zusammenhang floss öffentliche Entwicklungshilfe in NRO, damit diese Bildung und Gesundheit dort anbieten konnten, wo der Staat wegen der Kürzungen nicht mehr dazu in der Lage war. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass das exakt der Weg war, mit dem sich die Missionare während des Kolonialismus in Afrika breit machten – mit dem Angebot von Bildung und Gesundheit und dem Ziel, die Köpfe zu kontrollieren.

Nichtregierungsorganisationen zementieren die Strukturen der Abhängigkeit?
Ja. Wir haben das Problem, dass viele dieser entwicklungspolitischen NRO dazu beitragen, dass das Recht auf Bildung und Gesundheit ausgehöhlt wird. Sie springen als mildtätige Anbieter in die Bresche. Das läuft letztendlich auf eine Entpolitisierung der Armutsproblematik hinaus. Armut ist eine fundamental politische Angelegenheit. Armut ist von Menschen und ihren sozialen Systemen geschaffen. Alle NRO müssen sich darüber klar werden, wo sie stehen: Stehen sie auf der Seite der Ausbeuter oder der Ausgebeuteten? Ein Vergleich: Gäbe es heute noch die Sklaverei, würden sie dann für Schulen und Gesundheitsdienste für Sklaven kämpfen oder vielmehr für die Abschaffung der Sklaverei? Soweit davon entfernt ist die reale Situation in Afrika heute nicht. Afrika sieht sich in einer Situation, wo es aufgrund der SAP die Kontrolle über seine soziale und ökonomische Politik verloren hat. Die Bürger Afrikas haben nicht mehr das Recht, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen. Nur eine Minderheit der NRO sieht die Armutsproblematik als ein Problem der Machtverteilung. Arme brauchen keine Hilfe, Arme brauchen keine Sympathie. Was Arme brauchen, ist Solidarität bei ihrem Kampf.

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