»Ich seh nur den Menschen«

Literatur-Nobelpreisträgerin NADINE GORDIMER über Bruderkriege, das Beispiel Hitler und die kubanische Kultur

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Schriftstellerin Nadine Gordimer wurde 1991 für ihr literarisches Werk mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Sie ist zudem durch ihren ausdauernden Widerstand gegen das Apartheidregime in Südafrika bekannt. Mit Gordimer sprach in Havanna ND-Mitarbeiter HARALD NEUBER.

ND: Frau Gordimer, sie haben auf der Internationalen Buchmesse in Havanna eine spanische Ausgabe Ihres 1987 erschienenen Romans »Ein Spiel der Natur« vorgestellt. In dem Roman befassen Sie sich – wie auch in den anderen Werken – literarisch mit dem Rassismus. Wo steht Südafrika heute?
Gordimer: Die Auseinandersetzung mit dem Rassismus ist natürlich eines meiner literarischen Hauptmotive. Ich habe immer nur den Menschen gesehen, keine Rassen. Aber zu Ihrer Frage: Wo steht aber Südafrika heute? Rund eineinhalb Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid haben wir eine der fortschrittlichsten Verfassungen weltweit, die entschiedene Akzente gegen Diskriminierung setzt. Historisch gesehen hatten wir in Südafrika das enorme Glück, Nelson Mandela auf unserer Seite zu haben. Sehen Sie sich aber die weitere Entwicklung an: Heute wütet in Simbabwe ein Robert Mugabe.

Wie aber kann der Rassismus weiterhin zurückgedrängt werden?
Indem wir zunächst die historischen Wurzeln erkennen: Der Rassismus liegt oft im Kolonialismus begründet.

Und die soziale Frage ...
... ist ohne Zweifel wichtig. Sehen sie sich mein Land, Südafrika, an. Wir haben gut 30 Prozent Arbeitslosigkeit. Im benachbarten Simbabwe ist die Situation aber noch verheerender, deswegen kommen unzählige Gastarbeiter nach Südafrika, um sich die ohnehin raren Arbeitsplätze streitig zu machen. All das ist nicht mit Xenophobie zu erklären. Das griechische »xenos« bezeichnet das Fremde, wir haben aber einen wahren Bruderkrieg. Sie als Deutscher kennen das aus der Geschichte Ihres Landes: Auch Hitler hat die soziale Misere in den 1930er Jahren ausgenutzt, um sein Terrorregime aufzubauen und die Opfer der Verarmung aufeinanderzuhetzen. Eben diese Mechanismen gibt es heute.

Sie sprachen die Folgen des Kolonialismus an. Heute werden wir in Lateinamerika Zeugen einer politischen, wirtschaftlichen Bewegung gegen historische Abhängigkeiten von den ehemaligen Kolonialmächten. Setzt sich darin der Kampf des 20. Jahrhunderts fort?
Mitunter werde ich nach der Welt gefragt, die ich mir erträumt habe. Ich bin nicht so arrogant, nur von mir zu sprechen. Aber meine Kameraden und ich haben uns im Kampf gegen die Apartheid von dem Ideal der Gerechtigkeit für den Menschen leiten lassen. Dieser Kampf für Gerechtigkeit kann nicht nur in einem Land ausgefochten werden, man muss mit anderen Ländern Kontakt halten. Deswegen halte ich die Beziehungen zwischen Südafrika und Kuba für so wichtig. Wir dürfen nicht nur auf die Nord-Süd-Kooperation setzen, sondern auch die Zusammenarbeit zwischen den Staaten des Südens stärken und ausbauen.

Als Mittel, die Probleme der postkolonialen Gesellschaften auszuräumen?
Ich bin mir nicht sicher, ob auf diese Weise alle Probleme ausgeräumt werden können. Aber es würde auf jeden Fall helfen.

Kuba hat zumindest im Bildungssystem und im Verlagswesen deutliche Erfolge vorzuweisen.
Es steht ja völlig außer Frage, dass der Zugang zur Kultur eine der großen Errungenschaften dieses kleinen und nicht reichen Landes ist. Und man muss sich immer bewusst sein, dass all dies trotz der US-Blockade zustande gebracht wurde. Kuba ist sich bewusst, dass die Kultur den Menschen bei seiner Befreiung hilft. Ich hoffe, dass wir in Südafrika eine solche Entwicklung einschlagen. In meinem Land gibt es elf Sprachen, aber nur zwei – Englisch und Afrikaans – werden von den Medien kultiviert. Kinder und Jugendliche sind stark vom Fernsehen geprägt. Das Bild hat über das Wort gesiegt. Das gilt es zu ändern.

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