Herz der Finsternis

Ismail Kadare über Diktatoren und Opfer

  • Sabine Neubert
  • Lesedauer: 3 Min.

Albanien ist für uns das fernste, unbekannteste europäische Land. Das war es zur Zeit der letzten Diktatur und ist es immer noch. Auch die Werke des albanischen Schriftstellers Ismail Kadare, der seit 1990 in Tirana und Paris lebt, sind uns in Vielem fern und fremd. Das hat Tausende von Gründen, vor allem seine bis 1990 abgeschirmte Existenz. Seine Bücher sind Parabeln dieser Situation, Spiegel aber auch einer bis in mythische Vorzeit reichenden Geschichte, eines balkanischen Mit- und Nebeneinanders verschiedener Traditionen, Religionen, Kulturen und Erzählweisen.

Fremdherrschaften aller Art haben das albanische Volk geprägt und korrumpiert. Ismail Kadare schildert jede diktatorische Herrschaft als Hölle. Da fließen Zeiten seit der Antike, über das Osmanische Reich bis in die Gegenwart ineinander. Dem gebildeten Europäer sind griechische Mythen so vertraut wie die Erzählungen Kafkas. Wenn der viel strapazierte Begriff »kafkaesk« auf ein Werk zutrifft, dann auf seins. Die Erzählung »Die Große Mauer« kann man als kafkaesk-verschlüsselten literarischen Spagat zwischen asiatischer und europäisch-christlicher Tradition (oder Satire darauf) lesen.

Die Erzählungen des Bandes sind offensichtlich innerhalb eines größeren Zeitraums entstanden. Beim Lesen springt man aus der Gegenwart, bzw. der jüngsten Geschichte in frühere Jahrhunderte und zurück. Immer geht es – direkt oder verschleiert – um totale Herrschaft. Der Autor erzählt bitter-ironisch: Herrscher und Opfer sind in gleicher Weise groteske Figuren in absurden Situationen.

Die Spannung entsteht meist dadurch, dass der Leser mit dem jeweiligen Protagonisten durch diese Höllen, Ängste und Verzweiflungen geht und auf Rettung sinnt, obwohl er weiß, es gibt sie nicht. Es sind Reisen in die Finsternis. Man muss beim Lesen – etwa der Erzählung vom Schönheitswettbewerb der Männer auf den Verwünschten Almen – zunächst etwas Geduld aufbringen. Aber dann kommt man auf einmal zu der (im Jahre 1939 beginnenden) Erzählung »Der Reiter mit dem Falken« oder zu der nächsten (zeitlosen) mit dem Titel »Der Adler« – und gerät regelrecht in einen Sog.

In letztgenannter Geschichte versucht ein Mann aus der Verbannungs-Hölle mit Hilfe eines Adlers zu entkommen. Natürlich stürzt er dabei zu Tode. Was in dieser Erzählung Traum ist, kehrt in einer späteren wieder. Zum einen als Bild: Der Adler hat den Menschen zerfleischt und nur das Gerippe übrig gelassen. Zum anderen als Parabel: »... auch er hatte«, so heißt es, »seinen Adler, vielleicht den gefräßigsten von allen, der ihn durch die Finsternis trug«.

Im letzten Text opfert ein machtversessener hoher Minister seine Tochter so, wie Agamemnon einst Iphigenie für einen sinnlosen Raubzug geopfert hatte oder viel später Stalin seinen Sohn Jakov.

Es gibt in den Erzählungen Motive aus den Romanen, etwa das vom »Palast der Träume«. Als »Maske für die Macht« (Piet de Moor) behält Kadares Werk seine Wirkung.

Ismail Kadare: Der Raub des königlichen Schlafs. Kleine Romane und Erzählungen. Aus dem Albanischen von Joachim Röhm. Ammann Verlag. 480 S., geb., 24,90 €.

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